Zwischen Anpassung und Resistenz
Der Thomanerchor Leipzig in zwei politischen Systemen
Corinna Wörner
Johann Sebastian Bach war sowohl im Nationalsozialismus als auch in der DDR eine Projektionsfläche ideologisch geprägter Kulturpolitik. Künstler dienten im Werben um die politische Legitimation beider Regime als Propagandainstrument. Als Kulturbotschafter zweier Diktaturen bewegten sich die Thomaskantoren Karl Straube, Günther Ramin, Kurt Thomas und Erhard Mauersberger mit den Thomanern auf einem schmalen Grat zwischen Kunstfreiheit und politischer Doktrin. Sie agierten dabei im Spannungsfeld zwischen künstlerischen Eigeninteressen und politischer Instrumentalisierung. Der Thomanerchor war weder ein Hort gänzlicher Anpassung noch ausgesprochenen Widerstands, vielmehr dominierten Grautöne. Beide politischen Systeme wollten die kirchlichen Bindungen eliminieren. Trotz hohen Konfliktpotenzials gab diese im Kern kein Thomaskantor preis; sie waren nicht verhandel-, wohl aber anpassbar.
Im Rahmen eines sektoralen Diktaturvergleichs wird anhand exemplarischer Themenkreise, welche den gesamten Untersuchungszeitraum prägen, kirchliches und weltliches Arbeitsfeld, Repertoire sowie Sozial- und Organisationsstruktur umfassend untersucht. Mittels qualitativer und quantitativer Methoden werden die unterschiedlichen Perspektiven handelnder Akteure und Institutionen im NS- und SED-Staat differenziert aufgezeigt.