Aus dem Vorwort des Autors: Musik ist auf besondere Weise zeitgebunden. Wie ein fluider Gegenstand entfaltet sie sich vor uns als Musizierenden oder Lauschenden, indem von Moment zu Moment Klangereignisse eintreten, die wir als gestaltetes Geschehen wahrnehmen und im Gedächtnis bewahren. Jeder neue Ton, jede weitere Klanggestalt wird auf vorher Gehörtes rückbezogen, und indem sich Zusammenhänge offenbaren, entsteht in Kopf und Herz ein bestimmtes Musikstück.
Ein einzelnes Klangereignis kann (bei Live-Darbietung von Musik) nicht erneut angehört werden, anders als in bildender Kunst, wo man eine Farbe oder ein Motiv wiederholt ansieht. Im Fortgang eines Musikstücks werden die Klangmomente aber erinnert und als Bezugspunkte herangezogen, so lassen sie sich genauer erfassen und vielleicht mit anderen Momenten vergleichen. Manche solcher Klangmomente sind besonders beschaffen. Sie sind wie Schlüssel, die den Zugang zu einem Werk eröffnen.
Mir sind im Laufe meines (musikalischen) Lebens viele solcher besonderen, ungewöhnlichen Klangmomente begegnet. Es handelt sich um kurze, flüchtige Klangszenen, die in der Regel nach Sekunden zu bemessen sind. Und doch ist ihnen eine intensive Strahlkraft eigen. Sie graben sich als Sonderereignisse mit Tiefendimension ins Gedächtnis ein, es sind »Sternsekunden der Musik«.
Ich möchte in diesem Buch spezielle Ereignisse in Kompositionen betrachten und erörtern, an denen Weichen gestellt werden, Prozesse ihr Ziel finden, neue Klangwege sich eröffnen, ein Musikfluss einfach anhält. Solche Momente können in einer besonderen Harmonie, einer auffälligen melodischen Wendung, einem erregenden Rhythmus, einem plötzlichen dynamischen Ausbruch, im Wechsel eines Ausdruckscharakters gegeben sein. Immer aber eröffnen sie eine Perspektive aufs Werkganze.
Jedes Kapitel beginnt mit einem Notenblatt (ich nenne es Frontispiz), auf dem die ›sternsekundliche‹ Notengruppe wie von einem Spotlight erhellt ist - das Blatt ist als Ganzes leicht schattiert. Beispielsweise findet sich im Abschnitt zu Johannes Brahms eine Stelle aus dessen Zweiter Sinfonie. Dargestellt ist der Eintritt der Reprise im ersten Satz. Vom Spotlight belichtet erscheint die Stimme der 1. Posaune, die ein viertöniges Motiv vom Anfang der Sinfonie in starker Überdehnung zu spielen hat. Dieses Motiv markiert den eigentlichen Beginn der Reprise, da es als Kopf des Doppelthemas, das den Hauptsatz der Exposition eröffnet hatte, wiederkehrt. Kaum einem Orchester gelingt es indessen, diese »Sternsekunde« hörbar zu machen, es sei denn, die Töne d-cis-d-a würden durch die Art der Ausführung ähnlich hervorgehoben, wie dies der Scheinwerfer auf unserem Notenblatt tut.
Da eine »Sternsekunde« ihren speziellen Status nur offenbaren kann, wenn sie im Kontext des übrigen Klanggeschehens analysiert wird, müssen ihre besonderen Merkmale zu Form, Charakter und Inhalt einer bestimmten Komposition in Beziehung gesetzt werden. Zum Beispiel betrachte ich den ersten gesungenen Ton aus Franz Schuberts »Winterreise«, das f auf »Fremd«, als eine »Sternsekunde«. Der Ton befindet sich in auftaktiger Position, ist dabei aber als Hochton hervorgehoben und als inhaltsschweres Wort gewichtet. In der Folge durchziehen betonte Auftakte das ganze Lied. So wird das Gefühlsmoment der Fremdheit, das den unglücklich Liebenden, das »Ich« des Gedichts, bestimmt, wachgehalten. Die Zeilen »Fremd bin ich eingezogen, fremd zieh' ich wieder aus« legen sich vom ersten Ton des ersten Lieds an wie ein Signum der Schwermut über den gesamten Zyklus »Winterreise«. Ausführliche Informationen erhalten Sie unter www.editionargus.de.
Aktualisiert: 2022-02-08
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Im Februar 2005 widmete sich erstmals ein internationales Symposion dem Thema „Musiktheater im Exil der NS-Zeit“. Veranstaltungsort war das Musikwissenschaftliche Institut der Universität Hamburg. Die 16 Referate der Tagung sind im vorliegenden Band abgedruckt:
Vorwort der Herausgeber; Barbara von der Lühe (Berlin), Belcanto auf Iwrith; Burcu Dogramaci (Hamburg), „Faust“ für Ankara – Carl Ebert im türkischen Exil; Fiamma Nicolodi (Florenz), Aspects of Italian Musical Theatre under the Fascist Dictatorship; Beate Angelika Kraus (Bonn), Exilmusik auf Frankreichs Bühnen? Musiktheater in Paris von 1933 bis 1944; Barbara Busch (Würzburg), Kurt Jooss und Berthold Goldschmidt im englischen Exil. Auf den Spuren eines verloren geglaubten Werkes: „Chronika“; Michael Fend (London), Das Unternehmen Glyndebourne in den 1930er Jahren; Jutta Raab Hansen (London), Musiktheater in Internierungslagern auf der Isle of Man; Friedrich Geiger (Hamburg), Amerika im Musiktheater – Musiktheater in Amerika. Das Beispiel Richard Mohaupt; Claudia Maurer Zenck (Hamburg), Ein Musiktheaterexport nach Nordamerika – die Salzburg Opera Guild; Albrecht Gaub (Middleton, Wisconsin), Der Beitrag von Exilanten aus Deutschland zur Entwicklung des Musiktheaters in Kanada; Friederike Fezer (Hamburg), Irr- und Umwege eines Opernregisseurs im Exil. Die biographischen Stationen und künstlerischen Tätigkeiten P. Walter Jacobs von 1933 bis 1949; Albrecht Dümling (Berlin), Schneewittchen in Uniform. Die Musikrevue Sergeant Snow White 1943 in Melbourne; Ingo Schultz (Handewitt), Komponiert und geprobt im KZ Theresienstadt: Der Kaiser von Atlantis oder Die Tod-Verweigerung von Viktor Ullmann; Peter Petersen (Hamburg), Der Weg der Verheißung von Weill / Werfel / Reinhardt und Hagadah shel Pessach von Dessau / Brod – ein Vergleich; Christoph Dompke (Berlin), Operette, Musical und Kabarett im Exil; Sophie Fetthauer (Hamburg), Opernsänger und -sängerinnen im Exil am Beispiel der Ensemblemitglieder des Hamburger Stadttheaters.
Aktualisiert: 2021-01-09
Autor:
Barbara Busch,
Burcu Dogramaci,
Christoph Dompke,
Albrecht Dümling,
Michael Fend,
Sophie Fetthauer,
Friederike Fezer,
Albrecht Gaub,
Friedrich Geiger,
Beate A Kraus,
Barbara von der Lühe,
Fiamma Nicolodi,
Peter Petersen,
Jutta Raab Hansen,
Ingo Schultz,
Claudia Maurer Zenck
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Hanns Eisler, Paul Dessau, Ernst Hermann Meyer, Max Butting und Rudolf Wagner-Régeny prägten mit Werken wie „Die Verurteilung des Lukullus“, „Johann Faustus“, dem „Mansfelder Oratorium“ oder „Die Bürger von Calais“ die musikalische Entwicklung in der frühen DDR. Peggy Klemke untersucht, ob und wie eine unterschiedliche Behandlung der Berliner Komponisten aus politischen Gründen deren künstlerisches Schaffen beeinflusste. In Werksdiskussionen sucht sie nach Hinweisen auf politisch motivierte Förderung oder Behinderung durch den Arbeiter- und Bauernstaat und seine Organe. Für ihre Analyse greift die Autorin auf zahlreiche, zum Großteil unveröffentlichte Dokumente zurück. Überdies interviewte sie Zeitzeugen, darunter führende Funktionäre zentraler Institutionen wie der Kulturabteilung im ZK der SED, des Ministeriums für Kultur und des Verbandes Deutscher Komponisten und Musikwissenschaftler.
Aktualisiert: 2020-02-21
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Eine Sammlung von 35 Aufsätzen, die das Leben, Schaffen und Denken des außergewöhnlichen Dresdner Komponisten Jörg Herchet beleuchten, der mit Sprache ähnlich virtuos umgeht wie mit Tonmaterial. Neben Beiträgen aus Herchets eigener Feder enthält das Buch auch solche von Weggefährten wie Lydia Weißgerber, Jörg Milbradt und Ulrich Siegele
Aktualisiert: 2020-03-31
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Erste ausführliche Monographie über den im Vogtland geborenen und in Leipzig wirkenden Komponisten Karl Ottomar Treibmann, der in der DDR mit seinen Opern "Der Preis", "Der Idiot" und "Scherz, Ironie, Satire und tiefere Bedeutung" große Bedeutung erlangte, außerdem fünf Sinfonien schrieb und später ein Musikprojekt mit Texten Hölderlins realisierte. Enthält einen 16seitigen Farbteil mit Grafiken des Komponisten.
Aktualisiert: 2018-12-17
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Das Deutsche Miserere ist das erste grosse Gemeinschaftsprojekt von Bertolt Brecht und Paul Dessau, entstanden in den Jahren 1943 bis 1947. Das Anti-Kriegswerk war für die deutsche Bevölkerung nach der Befreiung vom Faschismus geschrieben. Angesichts der sehr verhaltenen Rezeption des Stücks stellte Peter Petersen 1999 die Frage, „warum das Deutsche Miserere nicht in Erinnerung an die Befreiung vom Nazifaschismus aufgeführt wird. Zum Beispiel im Reichstag in Berlin in Anwesenheit von Vertretern aller Länder, die Deutschland überfallen hat. Das Stück wäre dazu geeignet, thematisiert es doch nicht so sehr die Schuld der Deutschen als ihre Scham.“ Bis heute ist es Peter Petersen ein grosses Anliegen geblieben, die Musik Paul Dessaus und speziell das Deutsche Miserere einer breiten Öffentlichkeit zugänglich zu machen. Dieses Engagement fordert es geradezu heraus, in einer Festschrift für Peter Petersen den Blick auf eben dieses Werk zu richten.
Im ersten Teil des Buches wird das Deutsche Miserere analytisch sowie in seinem sozialen, entstehungs- und gattungsgeschichtlichen Kontext betrachtet. Zudem wird die Wirkungsgeschichte in verschiedenen Beiträgen dokumentiert. Der zweite Teil eröffnet Ausblicke auf das vielschichtige Bezugssystem, das im Deutschen Miserere angelegt ist, durch die Einbeziehung nachfolgender Arbeiten Dessaus sowie befreundeter Komponisten.
Der vorliegende Band enthält Beiträge von Barbara Busch, Maxim Dessau, Nina Ermlich Lehmann, Sophie Fetthauer, Marion Fürst, Friedrich Geiger, Andrea Hechtenberg, Christian Kuhnt, Mathias Lehmann, Claudia Maurer Zenck, Klaus Oehl, Eberhard Rebling, Daniela Reinhold, Gerd Rienäcker, Jörg Rothkamm, Mechthild von Schoenebeck, Ilja Stephan, Silke Wenzel, Kristina Wille, Hans-Gerd Winter, Daniel Zur Weihen sowie Grussworte von Constantin Floros, Hans Werner Henze und Peter Konwitschny.
Aktualisiert: 2021-01-18
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