Gefährdung und Schutz von Oberflächengewässern.
Einführung in das Rundgespräch
Jürgen Geist
9-16, 2 Schwarzweißabbildungen
Gewässer gelten als Lebensadern in der Landschaft und sind für die Biodiversität sowie für vielfältige menschliche Nutzungen von großer Bedeutung, darunter u. a. Trinkwasserversorgung, Landbewirtschaftung, Transportweg, Abwasserentsorgung, Wasserkraftnutzung, Fischerei und Aquakultur sowie Freizeit und Erholung. Die Zielmarken im europäischen Gewässerschutz, wie der in der Europäischen Wasserrahmenrichtlinie angestrebte gute ökologische Zustand, sind klar definiert, werden derzeit aber weitgehend verfehlt. Dies ist u. a. auf hydrologisch-strukturelle Veränderungen der Gewässer und auf Landnutzungseffekte zurückzuführen, wird aber durch zusätzliche Stressoren wie den Klimawandel noch verstärkt. Vor dem Hintergrund der vielfältigen Nutzungsansprüche und der multiplen Stressoren und Gefährdungen der Gewässersysteme sind evidenzbasierte, integrative und systemische Management- und Governance-Ansätze nötig, die verschiedene Disziplinen zusammenführen und verstärkt auf Synergien setzen, z. B. zwischen Arten-, Gewässer-, Boden- und Klimaschutz.
Multiple Stressoren in Oberflächengewässern: Welche Rolle spielt der Klimawandel?
Dietrich Borchardt
17-30, 7 Farbabbildungen
Deutschland wird wie viele andere europäische Länder in Europa zu den stark vom Klimawandel betroffenen Regionen gezählt. Dieser manifestiert sich immer deutlicher durch Extremwetterlagen mit Starkniederschlägen im Wechsel mit Trockenperioden und Hitzewellen sowie in bisher ungekannten jahreszeitlichen Verteilungen, Dauern und regionalen Auswirkungen. Dieser Wandel geht einher mit einer komplexen Wasserqualitätskrise in den Oberflächengewässern, obwohl die menschgemachten Einträge von Schad- und Nährstoffen in den vergangenen Jahrzehnten zum Teil deutlich zurückgegangen sind. Die Belastung ist vielfach aber immer noch so hoch, dass eine Mehrzahl an Stoffen einzeln oder in Kombination als signifikante Stressoren in den aquatischen Ökosystemen angesehen werden müssen. Gleiches gilt für die komplexen Themen Hydrologie, Hydromorphologie und Gewässerfragmentierung. Im Ergebnis bestehen in Deutschland manifeste ökologische Defizite, da nur 8 % der Fließgewässer, 25 % der Seen und keines der Übergangs- oder Küstengewässer derzeit einen »guten ökologischen Zustand« aufweisen. Dieses Ziel sollte eigentlich schon 2015 erreicht sein, aber der Zustand ist seit mehr als 20 Jahren praktisch unverändert. Um die quantitative, qualitative und ökologische Wasserkrise als Ganzes zu lösen, sind die Wirkungshierarchien multipler Stressoren mechanistischer als bisher aufzuklären und hinsichtlich der abschwächenden und verschärfenden Wirkungen des Klimawandels neu zu denken.
Einfluss der gewässernahen Landnutzung auf die Funktionalität von Auen und Gewässern
Karl Auerswald
31-42, 7 Farbabbildungen, 1 Tabelle
Das Kieslückensystem des Gewässerbodens (Interstitial) ist ein unverzichtbarer Lebensraum für viele Jungformen größerer Gewässerorganismen, das Makrozoobenthos und Biofilme. Gleichzeitig hat es wichtige hydraulische Funktionen wie die Dämpfung von Hochwasserwellen. Durch Auffüllen mit Feinmaterial (Kolmation) büßt das Interstitial seine biologischen und hydraulischen Funktionen jedoch ein. Obwohl das Feinmaterial überwiegend aus der Erosion von Ackerflächen stammt, so ist Erosion doch nicht ursächlich für die Kolmation. Vielmehr ist Kolmation eine Folge der starken hydrologischen Umformung im Anthropozän. Dazu zählt (1) die Förderung des Direktabflusses durch Drainagen und Straßengräben, wodurch weniger Basisabfluss das Interstitial freispült. (2) Gewässernahe Deiche verhindern, dass Erosionsmaterial in der Aue abgelagert werden kann und pressen die feinmaterialbefrachtete Hochwasserwelle ins Interstitial, bis es in der Folge abdichtet. (3) Die verbreitete Absenkung des Grundwassers und die Höherlegung von Flüssen lässt nur kolmatierte Flüsse bestehen, während viele andere Flüsse dadurch verschwunden sind. Auch wenn aus Bodenschutzsicht eine Verminderung der Erosion dringend geboten ist, wird dies die Kolmation der Gewässer daher nicht lindern oder gar beseitigen, solange die hydrologischen Ursachen der Kolmation fortbestehen.
Risiken und Effekte von Mikroschadstoffen auf aquatische Organismen
Inge Werner
43-56, 2 Farb- und 2 Schwarzweißabbildungen, 3 Tabellen
Kommunale und industrielle Kläranlagen sowie der Oberflächenabfluss von Landwirtschaftsflächen und urbanen Gebieten sind wesentliche Quellen für den Eintrag von Mikroverunreinigungen in Oberflächengewässer. Hunderte von Chemikalien werden in konventionellen Kläranlagen unvollständig eliminiert, darunter steroidale Östrogene, die die Fortpflanzungsfähigkeit von Fischen stören. Moderne Abwasserreinigungsverfahren können jedoch die Konzentrationen von Mikroschadstoffen soweit verringern, dass keine schädlichen Effekte auf Wasserlebewesen mehr zu erwarten sind. Solche technische Lösung gibt es für diffus eingetragene Chemikalien nicht. Sie werden meist mit dem Regenwasser in die Gewässer geschwemmt, wo zeitweise hohe Konzentrationsspitzen auftreten können. Insbesondere Pestizide aus der Landwirtschaft gefährden die Gesundheit von aquatischen Organismen. Diese Chemikalien werden auf Einzelstoffbasis reguliert, kommen in Gewässern jedoch fast immer als komplexe Mischungen vor. Dies und das Zusammenwirken der Mikroschadstoffe mit anderen Umweltstressoren stellt sowohl Behörden als auch die Wissenschaft vor deutliche Herausforderungen.
Invasion der Schwarzmeergrundeln im Oberrhein und Auswirkungen auf das Gewässerökosystem
Patricia Holm
57-64, 4 Farbabbildungen
Seit ihrer Ankunft im Rhein bei Basel untersuchen wir in einem breit aufgestellten inter- und transdisziplinären Projekt die Biologie und Ökologie der Grundeln (Ponticola kessleri, Neogobius melanostomus) und ihre Auswirkungen auf das Gewässerökosystem und entwickeln in Zusammenarbeit mit ExpertInnen aus der Praxis Vorschläge, um die weitere Ausbreitung dieser invasiven Fische rheinaufwärts zu verhindern. Wir konnten zeigen, dass diese eher benthischen Fische auch an Bootsrümpfen zu finden sind, an den Wänden in den Häfen neuen Lebensraum besiedeln und dort auch Laichmöglichkeiten nutzen. Wir stellten fest, dass ihre Larven, die in der Dämmerung an der Wasseroberfläche driften, in die Motoren von Motorbooten eingesaugt werden und so verfrachtet werden können. Grundeln fressen Eier von Nasen (Chondrostoma nasus), eine geschützte einheimische Art, die im Hochrhein und seinen Seitengewässern Laichgebiete von nationaler Bedeutung hat. Zu den von uns vorgeschlagenen Maßnahmen gehören Informationskampagnen, um Angler und Aquarianer vom ›Freilassen‹ lebender Fische abzuhalten und Sportbootsbesitzer zur Reinigung der Boote vor dem Einbringen in andere Gewässer aufzufordern. Zur Verhinderung der aktiven Ausbreitung über Fischpässe wurde eine hydraulische Grundelsperre entwickelt, die derzeit im Fischpass des Kraftwerks Rheinfelden eingebaut wird.
Konsequenzen der fischereilichen Bewirtschaftung – Was wissen wir wirklich?
Alexander Brinker
65-76, 7 Farb- und 1 Schwarzweißabbildung
Die freien Gewässer sind einer Vielzahl von anthropogenen Einflüssen ausgesetzt, die oft die Resilienz und die evolutionäre Anpassungsfähigkeit der Fische überschreiten. Wichtige mögliche Einflüsse sind dabei mit dem fischereilichen Management verbunden. Aus Fallstudien im Freiland, Arbeiten im Labor und Modellierungen sind bereits vielfältige Aspekte und Szenarien herausgearbeitet worden, die – oft generalisiert – nicht selten die öffentliche Diskussion dominieren. Dabei erfahren die einzelnen Themen oftmals einen grundlegenden Wandel in der Bewertung. So war zu Beginn des vorigen Jahrhunderts weitgehend anerkannt, dass Besatz wirksam zur Ertragssteigerung beiträgt, was heutzutage jedoch oft bezweifelt wird. Überhaupt wird die öffentliche Bewertung für viele fischereiliche Maßnahmen heutzutage in der überwiegenden Tendenz als schädlich eingeschätzt. Die Basis für diese neue Beurteilung arbeitet weitgehend auf einem schwachen induktiven Ansatz, bei dem vom Besonderen auf das Allgemeine geschlossen wird. Die im Beitrag aufgeführten Arbeiten zeigen deutlich, dass die fischereiliche Einflussnahme das Potenzial für beabsichtigte, aber auch befürchtete Konsequenzen besitzt, dass diese aber sehr kontext-spezifisch auftreten. Wenn also nicht allein auf Basis eines Vorsorgegedankens fischereiliches Management grundsätzlich stark eingeschränkt werden soll, wodurch eine mögliche nachhaltige Nutzung entsprechend behindert würde, bleiben nur die enge fachliche Begleitung von gesetzten Maßnahmen oder die Suche nach ganz neuen, verallgemeinerbaren Ansätzen.
Einflüsse des urbanen Raums auf Oberflächengewässer
Brigitte Helmreich
77-87, 3 Schwarzweißabbildungen, 3 Tabellen
Der urbane Raum hat sowohl quantitativ wie auch qualitativ einen erheblichen Einfluss auf Oberflächengewässer. Historisch wurden sowohl das Schmutzwasser aus den Haushalten und der Industrie als auch die Niederschlagsabflüsse befestigter Flächen über die Kanalisation abgeleitet und nach einer Behandlung punktuell in die Oberflächengewässer eingeleitet. Aufgrund unvollständiger Behandlung in Kläranlagen (Misch- und Trennsystem) oder Regenklärbecken (Trennsystem) sowie durch Mischwasserüberläufe gelangen zum Teil erhebliche Frachten an gewässerrelevanten Stoffen in die Oberflächengewässer. Stoffliche Belastungen aus den Niederschlagsabflüssen befestigter Flächen sind insbesondere durch Dachmaterialien zu erwarten, die aus gewässerrelevanten Stoffen bestehen oder diese beinhalten. Ebenso gibt es befestigte Flächen, die aufgrund ihrer Nutzung verunreinigt werden (z. B. durch Verkehrsaktivitäten). Diese Stoffe werden mit den Regenereignissen abflusswirksam. Gelangen Mischwasserüberläufe in Oberflächengewässer, so werden nicht nur niederschlagsbedingte Stoffe eingetragen, sondern auch das Schmutzwasser aus den Haushalten und der Industrie. Auch in Kläranlagenabläufen ist trotz weitestgehender Behandlung mit dem Eintrag von Stoffen in die Oberflächengewässer zu rechnen. Umweltqualitätsnormen geben Hinweise zum Handlungsbedarf. Durch die Entsiegelung befestigter Flächen kann im urbanen Raum der Eintrag von Schadstoffen in Oberflächengewässer reduziert werden.
Anthropozän 2.0 – Governance-Aspekte im Gewässerschutz
Martin Grambow
89-100, 3 Farb- und 1 Schwarzweißabbildung
Inzwischen ist klar, dass die Ziele der europäischen Wasserrahmenrichtlinie bis 2027 in einem Großteil der Wasserkörper in Europa nicht erreicht werden können. Erfolge der ergriffenen Maßnahmen bleiben bisher konstant bei weitem hinter den Erwartungen zurück. Wir haben es mit der weithin fortschreitenden umfassenden Überformung der gesamten (Um-)welt durch den Menschen zu tun, von der Wissenschaft mit dem Begriff des Anthropozän beschrieben.
Das Anthropozän ist nicht nur eine Zustandsbeschreibung, sondern vielmehr ein neues Verständnis der lebensbestimmenden Spielregeln der biologischen, technischen und gesellschaftlichen Systeme. Daraus erwachsende Herausforderungen sind nur mit dem Wissen über die Systeme selber, deren Dynamik und Stabilitätsvoraussetzungen, zu meistern. Hier greift die Theorie der Resilienz, die das Verhalten rückgekoppelter, komplexer Systeme beschreibt. Solche Systeme sind schwer zu entschlüsseln: Mögliche Überschreitungen von Kipppunkten von oft unscheinbaren Subsystemen haben auf das Ganze teils katastrophale und noch dazu oft zeitversetzte Auswirkungen. Die erwachsenden Aufgaben sind mit konventionellen linear geprägten Entscheidungsprozessen nicht mehr befriedigend zu lösen. Neben der deterministischen Betrachtung der Systeme auf Basis der verfügbaren Fakten – aus dem Verstehen wird der »Verstand« – wird also eine »begründete Intuition« – die »Vernunft« – das gesamte Zeitalter des Anthropozäns zunehmend prägen
(Anthropozän 2.0) müssen.
Gewässersanierung am Beispiel Österreichs – ein gemeinsamer Weg
Stefan Schmutz
101-112, 7 Farbabbildungen
Infolge von Lebensraumzerstörung sind die störartigen Langdistanzwanderer in der Oberen Donau bereits ausgestorben, in der Unteren Donau zeichnet sich ein ähnliches Schicksal ab. Der Huchen, eine endemische Art in der Donau und der größte Salmonide weltweit, ist ebenso vom Aussterben bedroht. Gewässerregulierung, Wasserkraft und zunehmend der Einfluss von Fischfressern sind für die drastischen Bestandsverluste verantwortlich. Für die Sanierung der Fließgewässer müssen alle Betroffenen/Beteiligten gemeinsam an Lösungen arbeiten und diese umgehend umsetzen. Dazu zählen hinsichtlich Wasserkraft: Verzicht auf weitere Wasserkraftwerke in Fließstrecken des ursprünglichen Verbreitungsgebietes des Huchens, Fischwanderhilfen auch für große Fischarten wie Huchen tauglich zu machen, Fischabstiegsanlagen zu errichten, den Schwall zu dämpfen, das Restwasser zu erhöhen und ein Geschiebemanagement umzusetzen. Hinsichtlich der Gewässermorphologie zeigen Sanierungsprojekte wie jenes an der Traisen, dass bei entsprechender Dimensionierung und Anbindung an andere Gewässer auch in stark degradieren Gewässern der (sehr) gute ökologische Zustand wieder hergestellt werden kann. Derartige Projekte sollten umgehend in Gewässerabschnitten mit vergleichbarem Revitalisierungspotenzial umgesetzt werden. Zudem sollte in Gewässerabschnitten mit Vorkommen gefährdeter Fischarten, wie zum Beispiel dem Huchen, ein effizientes Prädatorenmanagement durchgeführt werden, um diese bedrohten Fischarten vom Aussterben zu bewahren.