Drei Vorworte
1.1 Westliches Vorwort
Nicht jeder Islamist ist ein Hinterweltler. Wenn jemand den Islam als ein prachtvolles
Hilfsmittel der Religionsausübung und der Lösung der meisten staatlich-weltlichen
Probleme ansieht, so hat er vielleicht Recht damit. Jedenfalls läßt sich darüber streiten. Erst wenn sich nicht mehr mit ihm streiten läßt, erst wenn sich hinter dem Islam die Hoffnung auf eine völlig neue Welt ergibt, betritt er das Gebiet der verkappten Religionen. Die verkappte Religion fängt an, wo der Streit aufhört: In dem Augenblick nämlich, wo der Islamist behauptet, er sei nicht aufgrund der Religion, sondern aufgrund seiner Überzeugung von der Wichtigkeit des Islams als etwas Besonderem und Welterlösendem überwältigt. Erst die Hoffnung auf die Hinterwelt, die Bemühung, mit ihr die alte Welt zu erobern, zu durchdringen und zu besiegen, macht das Wesen einer verkappten Religion aus. Alle verkappten Religionen sind Monomanie.
In tausend Formen, die immer wieder wechseln, stellen sie einen Gedanken in die Mitte und suchen von ihm aus und durch ihn den Menschen zu formen. In der Mitte dieses zum Teil ganz ungeheueren Gedankengebäudes der verkappten Religion steht immer eine Richtigkeit, meist selbst sogar eine Weisheit. Sie wird dadurch in ihrer „Wirkung“ gestärkt, und um ihre Wirkung gebracht, daß sie alle anderen kritischen Gedanken schluckt.
Für jeden entflammten Anhänger des Islam, jedem Muslim, gibt es nichts mehr, das mit
seinem Glauben nicht irgendwie in Zusammenhang stünde. Das rundet ihm sein Weltbild ab und gerade der Umstand, daß sein Glaube alles umfaßt, alles belebt, daß nichts mehr ihm gleichgültig ist, diese Wirkung seiner Religion beglückt ihn.
Der wahrhaft religiös Ergriffene (also der neu bekehrte Muslim) sieht die ganze Welt neu; sieht sie, als ob sie für ihn allein gemacht wäre.
Auch der Hinterweltler (in diesem Fall der Islamist) seht die ganze Welt neu. Aber ihm
dienen alle Dinge nur zur Bestätigung seiner Monomanie. Für den Muslim wird die Welt größer. Er findet noch im Entlegensten eine neue Seite des Glaubens, die ihm bisher nicht aufgegangen war, und in diesem neuen Licht leuchtet ihm auch das Fremdeste in strahlendem Glanz auf.
Für den Islamisten schrumpft die Welt zusammen. Er findet in allem und jedem Ding nur
noch die Bestätigung seiner eigenen Meinung. Die Religion selbst ergreift ihn nicht mehr. Er kann nicht mehr ergriffen werden; soweit er die Dinge noch übersieht, sind sie Schlüssel der Hinterwelt.
Man kann das beinahe experimentell nachweisen. Man beschränke sich auf die Spezialisierung, z.B. als Korangelehrter oder als Fachmann für das älteste, klassische Arabisch. Den beiden Spezialisten und dem einzelnen Islamisten ist ein Zug gemeinsam und kommt doch bei beiden aus entgegengesetzten Quellen: der Stolz, das
Bewußtsein der Überlegenheit über alle anderen.
Während aber beim Spezialisten dieses Überlegenheitsgefühl auf sein Sondergebiet begrenzt ist, hält sich der Islamist, wenn er sich nicht sogar für den besseren Menschen hält, doch wenigstens für den weitaus Überlegenen. Er dünkt sich nicht etwa klüger und fähiger, sondern glattweg einfach überlegen. Der erstaunlichen Befähigung zum Brückenschlagen entspricht eine vielleicht noch erstaunlichere Fähigkeit des Vergessens in dem Augenblick, wo ihm irgendetwas nicht Wegzuleugnendes nicht in seine Monomanie paßt. Seine Monomanie blendet ihn so, daß er selbst
unbedingt an das glaubt, was er sagt.
Das Überlegenheitsgefühl und der Stolz des Spezialisten erheben sich auf dem Grund von Leistungen. Die Überlegenheit des Islamisten erhebt sich aufgrund einer Meinung, von der mit unverständlicher Leichtigkeit Teile geändert, vergessen, neue Teile angezogen und berichtigt werden können, während ihm das Gefühl bewahrt bleibt, eine einheitliche und immer dieselbe Weltanschauung zu haben. Somit ist seine Meinung sehr bestimmt genauer, seine Ablehnung von westlichen Werten, Demokratie, Lebensstil, Philosophie, Recht u.dergl. ist sehr bestimmt. Das erlaubt ihm, alle
Türen seiner Hinterwelt zu öffnen. Erst das macht seinen Schlüssel zum Dietrich, der immer derselbe bleibt und ihm doch alle Pforten zur Hinterwelt aufschließt.
Unsere Zeit leidet an der Krankheit, auch den bescheidensten Gedanken prompt und freibleibend in eine Weltanschauung zu verwässern. Das ist auch der Grund, weshalb allen Islamisten jede Art von Lachen abgeht. Vom simpelsten Witz bis hin zum Humor. Denn jedes Lachen, das von Herzen kommt, lacht über die Verbindung von zwei Gegensätzen. Gegensätze aber bedingen Einzelheiten, und gerade sie kann der Monomane gar nicht mehr sehen. Die Verwässerung der Weltanschauung tötet jeden Humor. Selten wird der Kampf, auch wenn das Programm gerade das Gegenteil behauptet, wirklich für Menschen und Dinge geführt. Es geht gegen Begriffe, Anschauungen und Fiktionen.
1.2 Östliches Vorwort
a sowohl du, mein bester Hieron, als auch manche andere Freunde mich jetzt häufig dazu auffordern, für sie ein Buch über die frühe Kunst im Orient6 zu schreiben, ich aber trotz des dringenden Wunsches, euch einen Gefallen zu tun, und trotz des festen Vorsatzes, auch, soweit ich in der Lage bin, den jetzt und den nach uns lebenden Menschen zu nützen, dennoch zögerte ich und schob es jedes Mal aus vielen Gründen auf; es scheint mir angebracht zu sein, jetzt noch diese Gründe zu erörtern, bevor ich mit der Darstellung beginne; sie enthalten nämlich manches in Hinblick auf die späteren Ausführungen Nützliche. Am wichtigsten von ihnen allen ist, daß man sich der Gefahr aussetzt, umsonst zu schreiben, da von den jetzt lebenden Menschen sozusagen kein einziger an der Wahrheit interessiert ist, sondern man in solchem Ausmaß dem Geld, politischen Machtpositionen und dem unersättlichen Genuß von Vergnügungen nachjagt, daß man, falls es jemanden geben sollte, der auch irgendeine
Wissenschaft betreibt, ihn für wahnsinnig hält. Diese Einleitung schrieb der antike, griechische Arzt Galenos um 175 n. Chr., und sie hat bis heute nichts an Aktualität eingebüßt. Galenos wurde 129 n. Chr. in der kleinasiatischen Stadt Pergamon geboren, kam also aus dem Nahen Osten, und starb um 200 n.Chr. in Rom. Sein Vater war Mathematiker und Architekt. 1.3 Heutiges Vorwort
Motto:
„Viel Forschen ist Ketzerei“, sagt der Prophet,
„es steht alles Wissensnötige im Koran“
Stephan, 310
Ich fühle mich erniedrigt, einem Staat ohne Visionen und ohne Ambitionen anzugehören,
der autoritär, wenn nicht gar despotisch ist, wo es weder Wissenschaft noch Vernunft
gibt, weder Schönheit des Lebens noch wirkliche Kultur. Dieser Staat unterdrückt mich, und in dieser provinziellen, bäuerlichen Gesellschaft ersticke ich und leide darunter, von
unkultivierten und unwissenden Führern herumkommandiert zu werden. Als Intellektueller durchlebe ich eine Neurose, und es menschlich und legitim, daß ich mein Unbehagen auf meine Gesellschaft projiziere, aber es gibt eben auch die Revolten des Volkes, die bezeugen, daß dieses Unbehagen nicht nur eine Konstruktion der Intellektuellen ist.“ „Die Muslime haben das Phänomen der Moderne nicht als Bruch (mit) der Vergangenheit begriffen, sondern als Wiederanknüpfung an die Vergangenheit. Sie haben das Phänomen der Moderne nicht als Fortschritt, sondern als Renaissance aufgefaßt, letztendlich also in magischen und mythischen Begriffen. Mehrheitlich war also die Haltung der Muslime, die ihrer politischen oder religiösen Denker, genau entgegengesetzt den Prinzipien, die korrekte Auslegung der Aufklärung impliziert. Mit diesen drei Vorworten will ich meine „Frühe Kunst im Orient“ beginnen lassen – die natürlich Galenos noch nicht kennen konnte, und deswegen auch nicht in seinem Vorwort erwähnt hat. Aber die auch den islamisch geprägten Intellektuellen sauer aufstoßen müßte, die sich um die Reform ihrer Religion und um die Erneuerung der Staatsformen einen Kopf machen.