Schiffe im Hafen wie riesige ins Wasser gepflanzte Behältnisse für Leitern und Rohre, eine Spinne in krakenbeinigem Tanz mit einem Schmetterling, das endlos sich ineinander verschlingende Röhrengedärm einer chemischen Anlage, der Flugzeugblick auf eine Stadt mit dem Schatten des Fliegers, der schiefe Giebel der Neumühle, zwei von einer Vielzahl von Zwingen zusammengepresste Blöcke, das im Farblicht flirrende Zementwerk Karsdorf, eine Flussbiegung der Saale, Blumen in eckiger Vase, ein Bahnübergang in der Dunkelheit, Schleusen mit und ohne Boot, ein sinkendes Schiffchen, eine Seebrücke, das Rückenbild einer Frau vorm Meer, ihrer Funktionszusammenhänge entrissene Schaltkästen, ein riesiger Falter, ein merkwürdiges Gewächs, ein Holztor, Fische, ein Schiff aus Blech – das sich bei Durchsicht des nur schmalen bildnerischen Œvres2 auffächernde gegenständliche Inventar macht zunächst eines deutlich: im Werk von Gerhard Schwarz ist keine Bruchstelle mit einer wie immer gearteten sozialen Utopie zu vermuten, wie sie für wesentliche Teile der ostdeutschen Kunst in jüngster Zeit als typisches Charakteristikum diagnostiziert worden ist, ein „Abschied von Ikarus“3 fand hier nicht statt. Man wird Schwarz‘ Rolle in der ostdeutschen Kunstszene am ehesten mit der des „integrierten Außenseiters“ fassen, die Doris Weilandt auch für Lothar Zitzmann ausgemacht hat4, den Gerhard Schwarz als Lehrer für gestalterische Grundlagen von der Hochschule her kannte. Doch finden sich in Schwarz‘ Bildern keine Anklänge an Zitzmanns „lapidaren Realismus“, der die Gefahr formelhafter Heroisierung in sich trug. Und auch dem „Melancholiegebot“, das Paul Kaiser als grundsätzliche mentale Disposition der als „dissidentisch“ apostrophierten Kunst und Kultur in der DDR ausgemacht hat,5 folgen sie nicht. Auf dem Grund dieser kaum als bedeutsam erachteten Lage im Gesamtgefüge der ostdeutschen Kunst kann es nicht verwundern, dass Schwarz auch nach 1989 weiterhin ein Außenseiter blieb. Das Einrücken in die „allgemeine Fortschrittskarawane“6 des westdeutschen Kunstbetriebs entsprach seinen Bedürfnissen als Maler nicht, ganz abgesehen davon, dass eine solche Option nie bestand. Die öffentliche Wahrnehmung des skrupulösen, durch geringes Produktionsvolumen gehandicapten und dadurch für den Markt unbrauchbaren Künstler blieb überschaubar.7 Soweit dem Autor bekannt, nahm lediglich eine der größeren Ausstellungen8, die sich seit 1989 mit dem Phänomen der Kunst in der DDR beschäftigten, Notiz von seinem Werk und in den zwei namhaften Museen, in die während der 1970er- und 80er Jahre einige Bilder von Gerhard Schwarz gelangt sind, lagern diese in aller Regel im Depot.
1940 in Halle (Saale) geboren, studierte Gerhard Schwarz nach einer Schlosserlehre von 1960 bis 1965 an der damaligen Hochschule für industrielle Formgestaltung Halle – Burg Giebichenstein bei Hannes H. Wagner und Meinolf Splett. Unterbrochen durch den Grundwehrdienst vom November 1966 bis April 1968 war er dann freischaffend in Halle (Saale) tätig. Bereits als Vierzehnjähriger hatte er begonnen, einen von Werner Rataiczyk geleiteten Volkskunstzirkel zu besuchen, wo er unter anderen seine späteren Kollegen Bernhard Michel und Walek Neumann kennenlernte. Mit Neumann unternahm er 1976 eine insbesondere sein Aquarellschaffen initialisierende Reise in die Slowakei (Abb. S. …). Langjährige intensive Künstlerfreundschaften bestanden jedoch vor allem zu dem aus Griechenland stammenden gleichaltrigen Fotis Zaprasis, der in Leipzig studiert hatte und dem acht Jahre älteren, aus Breslau stammenden Wolfgang Barton. Barton hatte nach einem Studium in Greifswald von 1961-64 ebenfalls an der „Burg“ studiert, allerdings nicht Malerei sondern Gebrauchsgrafik, und zwar bei dem ehemaligen Bauhaus-Schüler Walter Funkat und dem schon erwähnten Lothar Zitzmann, bei dem auch Schwarz 1960/61 sein Grundlagenstudium absolvierte.
Ein offener künstlerischer und intellektueller Diskurs mit der Kunst der Vorkriegs-Moderne und den Entwicklungen aktueller westlicher Kunst war nach Gründung der DDR und der damit verbundenen antimodernistischen Wendung der staatlichen Kunst-Doktrin auch in Halle im Verlauf der 1950er Jahre nach und nach eingedämmt worden. Die Moderne im Kunstmuseum Moritzburg verschwand im Depot, ihre jungen Protagonisten wie Hermann Bachmann, Ulrich Knispel, Gerhard Hoehme und andere wichen dem zunehmenden Druck aus und gingen in den Westen.9
Neben Ausstellungen und Ausstellungsbeteiligungen in der Region gelang Gerhard Schwarz schon 1967 erstmals der Sprung in die zentrale Kunstausstellung der DDR, die aller fünf Jahre in Dresden stattfand. Nachdem er zunächst nur mit Grafik beteiligt und für die VII. Kunstausstellung ausjuriert worden war, hingen 1977/78 gleich zwei Ölbilder in Dresden, 1982/83 zwei Gemälde und eine Druckgrafik und 1987/88 abermals ein Ölbild. Letzteres allerdings nur, weil Hermann Raum von seinem Recht als Juror Gebrauch machte, ein Werk an der allgemeinen Entscheidung der Jury vorbei für die Ausstellung zu setzen.10 Dieses Bild (Abb. S. …) befindet sich heute im Besitz des Landes Sachsen-Anhalt.
Hermann Raum war von 1977 bis 1982 Direktor der Staatlichen Galerie Moritzburg in Halle, ehe er eine Professur an der Kunsthochschule Berlin-Weißensee übernahm. Der Kunsthistoriker hatte schon 1977 das Gemälde „Maschinenteile“ (Abb. S. …) aus der VIII. Kunstausstellung für die Moritzburg erworben und 1979 und 1980 abermals jeweils ein Bild für diese Hallenser Sammlung gesichert. Wohl gleichfalls auf Initiative von Raum war bereits Monate vor der IX. Kunstausstellung überdies das Bild „Zementwerk Karsdorf“ (Abb. S. …) vom Kulturfond des Rates des Bezirkes Halle erworben und sofort dem Bestand der Moritzburg übereignet worden. Auch „Stilleben mit Zwingen“ (Abb. S. …), das sich bis heute im Museum der bildenden Künste Leipzig befindet, war eines der Dresdner Bilder.
Der Kunsthistoriker Wolfgang Hütt hatte Schwarz 1977 als eines der herausragenden Talente seiner Generation in Halle ausgemacht11, 1981 folgte ein würdigender monografischer Artikel in der vom Verband Bildender Künstler der DDR herausgegebenen Zeitschrift „Bildende Kunst“ 12. Trotz ihrer ab 1953 verfügten institutionellen politischen Anbindung war die 1947 von Karl Hofer und Oskar Nerlinger gegründete Zeitschrift das wichtigste öffentliche Medium für den künstlerischen und kunsthistorischen Diskurs in der DDR. Die 1971 vom VIII. Parteitag der SED ausgegebene neue kulturpolitische Orientierung von „Weite und Vielfalt“ nutzten einige auch ihrer Redakteure, um bis dato weitgehend unterbelichtete Positionen der Klassischen Moderne, der zeitgenössischen internationalen sowie der nationalen Kunst vorzustellen beziehungsweise erneut für die öffentliche Diskussion verfügbar zu machen. Auch die Veröffentlichung eines Credos, wie das von Schwarz im genannten Heft, das diesem Aufsatz als Titel dient, ist ohne diese Entwicklung schwer denkbar. Es bedeutete im Grunde die Verneinung einer vorderhand gesellschaftspolitischen Funktion von Kunst und ihres Abbild-Charakters und folgte in dieser Haltung Paul Cézanne, der Kunst als eine Harmonie begriff, die parallel zur Natur existiert. (aus dem einleitenden Text von Norbert Eisold)