Schon Sophokles galt das Schiff als erste aller Kulturtechniken, mit denen der Mensch sich die Erde untertan gemacht hat. Heute fasst eine Philosophie der elementaren Medien das Schiff darum auch als ein »arch-medium« auf, das heißt als Erz- oder Ur-Medium. Denn auf See kann nicht vergessen werden, dass die menschliche Existenz technisch basiert ist. Daher entnimmt der Mensch seine Daseinsmetaphern dem Meer. Das Archiv für Mediengeschichte versammelt in seiner zwanzigsten Ausgabe Beiträge, die das Schiff als Welten machendes Medium, als Generator und Transformator von Umwelten, von Sicht- und Sagbarkeiten und von Geschichte selbst thematisieren.
Mediengeschichte als historiographische Praxis steht vor der Herausforderung gewandelter medientheoretischer Fragestellungen und Interessenslagen. So hat das medienökologische Paradigma längst begonnen, die Grenzen des populären Sinns von ›Medien‹ zu verschieben. Gegenwärtig nehmen Medien mehr und mehr den Sinn von ›Milieus‹, von Umgebungen oder Umwelten, an. Es geht also darum, Medien nicht als Techniken und Technologien zur Speicherung und Verbreitung von Botschaften zu verstehen, sondern als ermöglichende Umwelten oder gar als »Infrastrukturen des Seins«. Einerseits wird eine solche Art der Mediengeschichte Technologien auf ihre umwelterzeugenden, -transformierenden und -erschaffenden
Wirkungen hin untersuchen. Andererseits kann die Idee auch umgedreht werden: Dann sind Umwelten auch Medien – und sie sind es umso mehr, je mehr die Ununterscheidbarkeit von Natur und Technologie zunimmt. Wie weit diese Verflochtenheit von Medien als Umwelten und Umwelten als Medien historisch zurückreicht, dies herauszufinden ist Teil der genannten Herausforderung der Mediengeschichte.
Um die Möglichkeiten und Methoden von Mediengeschichten, die Medien als seinsermöglichende Infrastrukturen in den Blick nehmen, am Beispiel eines speziellen Artefakts auszuloten, widmet sich Band 20 des Archivs für Mediengeschichte dem Schiff.
Aktualisiert: 2023-05-31
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Schon Sophokles galt das Schiff als erste aller Kulturtechniken, mit denen der Mensch sich die Erde untertan gemacht hat. Heute fasst eine Philosophie der elementaren Medien das Schiff darum auch als ein »arch-medium« auf, das heißt als Erz- oder Ur-Medium. Denn auf See kann nicht vergessen werden, dass die menschliche Existenz technisch basiert ist. Daher entnimmt der Mensch seine Daseinsmetaphern dem Meer. Das Archiv für Mediengeschichte versammelt in seiner zwanzigsten Ausgabe Beiträge, die das Schiff als Welten machendes Medium, als Generator und Transformator von Umwelten, von Sicht- und Sagbarkeiten und von Geschichte selbst thematisieren.
Mediengeschichte als historiographische Praxis steht vor der Herausforderung gewandelter medientheoretischer Fragestellungen und Interessenslagen. So hat das medienökologische Paradigma längst begonnen, die Grenzen des populären Sinns von ›Medien‹ zu verschieben. Gegenwärtig nehmen Medien mehr und mehr den Sinn von ›Milieus‹, von Umgebungen oder Umwelten, an. Es geht also darum, Medien nicht als Techniken und Technologien zur Speicherung und Verbreitung von Botschaften zu verstehen, sondern als ermöglichende Umwelten oder gar als »Infrastrukturen des Seins«. Einerseits wird eine solche Art der Mediengeschichte Technologien auf ihre umwelterzeugenden, -transformierenden und -erschaffenden
Wirkungen hin untersuchen. Andererseits kann die Idee auch umgedreht werden: Dann sind Umwelten auch Medien – und sie sind es umso mehr, je mehr die Ununterscheidbarkeit von Natur und Technologie zunimmt. Wie weit diese Verflochtenheit von Medien als Umwelten und Umwelten als Medien historisch zurückreicht, dies herauszufinden ist Teil der genannten Herausforderung der Mediengeschichte.
Um die Möglichkeiten und Methoden von Mediengeschichten, die Medien als seinsermöglichende Infrastrukturen in den Blick nehmen, am Beispiel eines speziellen Artefakts auszuloten, widmet sich Band 20 des Archivs für Mediengeschichte dem Schiff.
Aktualisiert: 2023-02-02
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Am Beispiel der Ukraine beschreibt Reiner Geulen die Risiken der nuklearen Eskalation zukünftiger Kriege. Die moderne Kriegsführung der Cyberintelligenz weist über das Ende der Menschheit hinaus.
Der Autor diskutiert das zweite große Problem der Menschheit: das Schmelzen der Gletscher, den Anstieg des Meeresspiegels, die extremen Hitze- und Regenperioden. Anders als die nukleare Kriegsführung verläuft die thermische Zerstörung der Erde nicht apokalyptisch, aber auch sie ist unumkehrbar.
Geulen wendet sich gegen alle Versuche, die Wirklichkeit mit dem Versprechen künftiger Utopien zu verschleiern. Die Spalter des Atoms, die Genien der Raumfahrt, die Herrscher der Cyberwars: Wir bekämpfen jeden, der diese Welt zerstört. Nur wenn wir bereit sind, das Ende der Menschheitsgeschichte anzunehmen, werden wir leben können.
Aktualisiert: 2023-04-27
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Adornos Slapstick, Adornos Komik – eine Konstellation, die auf den ersten Blick überaus befremdlich anmuten mag. Kann es bei einem erklärten Vertreter einer »traurigen Wissenschaft« [Minima Moralia] überhaupt etwas zu lachen geben? Ziel der vorliegenden Studie ist nichts anderes, als für Adornos Gelächter eine theoretische Lanze zu brechen und diesem nicht nur in seinen Texten nachzuspüren, sondern auch in den Filmen jener Komiker, die er so bewunderte: von Charlie Chaplin und den Marx Brothers. Aus der parallelen Lektüre von philosophischen Texten und Hollywood-Filmen wird nicht zuletzt eine Filmästhetik extrahiert, von der immer noch von manchen angenommen wird, dass es diese bei einem Denker nicht geben könne, der ja berechtigterweise einmal behauptete, nach jedem Kinobesuch wieder dümmer herauszukommen. Dialektik mit und nach Adorno heißt aber auch, das Kluge aus dem Dummen zu extrahieren und aus dem Niedrigen das Hohe. Adorno nahm die Komik so ernst, dass er ihr einst sogar ein philosophisches Seminar in Frankfurt widmete. In den unveröffentlichten Aufzeichnungen zu diesem sogenannten Lach-Seminar findet sich folgender Beitrag: »Horkheimer, der seinem Hund das Bellen beibrachte.« In dieser Notiz verdichtet sich Adornos komische Theorie in einem Satz: So wie der aggressive Laut des Hundes mehr Schein ist als naturhaftes Sein, so verdankt sich auch der Slapstick in seinem ursprünglichen Wortsinn einer Praxis der italienischen Commedia dell’arte, bei der sich die Clowns mit gedoppelten Holzflächen lautstark auf den Kopf schlugen, aber das eben nur vorgetäuscht. Destruktion und Spiel, Reales und Imaginäres, Sichtbares und Hörbares, Schmerz und Scherz verbinden sich so in Adornos Slapstick, der kein Schlagstock ist.
Aktualisiert: 2023-05-04
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Er ist ein Seiltänzer. In schwindelnder Höhe, ohne Netz und Sicherung zeigt er seine Sprachartistik. Mit verblüffender Sicherheit, elegant und exzellenter Balance schreibt Franz Hodjak seine Verse, schwebend und doch von bestechender Präzision, gleichsam in die Luft gemeißelt. Da ist kein Wort zu viel, kein Wort zu wenig. Und doch kann er zupacken, hart oder derb sein. Der Alltag bestimmt den Inhalt der Texte, verquer, grotesk, lächerlich, bedrückend, aber auch heiter, beschwingt und einfach schön. Worte aus unserer technisierten Welt drängen sich vor, müssen zurechtgewiesen werden. Manchmal wie hingetupft, dann mit Brechungen und irrwitzigen Sprüngen – keine Angst, der Mann stürzt nicht vom Seil – schreibt Franz Hodjak seine Gedichte.
Bereits seit 1970 publizierte Franz Hodjak Kinderbücher, Erzählungen, Romane und Lyrikbände. Sein sechsundzwanzigstes Buch liegt nun vor. Noch immer ist er ein Sprachkünstler, der darauf vertraut, dass alles sagbar ist. Aber ein neuer Ton ist unverkennbar: die Welt ist anders geworden, die Menschen haben sich verändert. Skepsis kommt auf; es bedarf der Ironie, gelegentlich des Spotts, um der Verzweiflung standzuhalten beim Zug der Lemminge in Richtung der Klippen.
Aktualisiert: 2022-08-30
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Zur Sprache kommt Architektur in Musils Roman auf mannigfache Weise: als weithin sichtbare Bauform von Häusern oder ganzen Stadtbezirken, als – einmal dekorative, einmal funktionale – Innenarchitektur von repräsentativen oder auch intimen Räumen. Architektur ist im »Mann ohne Eigenschaften« nicht nur Motiv oder Thema, Schauplatz oder Hintergrund des erzählten Geschehens, sondern immer auch ein ›Dispositiv‹: eine determinierende Größe oder gar Möglichkeitsbedingung für die erzählte und erlebte Welt. Gefühle, Empfindungen und Stimmungen der einzelnen Figuren manifestieren sich in den atmosphärischen Valeurs der privaten und öffentlichen Räume, die sie umgeben, in denen sie sich bewegen und eingerichtet haben. Entscheidungen treffen oder vermeiden die in Kakanien maßgeblichen Akteure an exponierten Schauplätzen der Politik oder auch in unzugänglichen Kanzleien; und zum systematischen Denken oder auch zum regelrechten Verrücktsein kommt man zuvorderst in institutionellen Räumen und zweckdienlichen Bauensembles wie der Bibliothek und Psychiatrie.
Diese Architektonik des Fühlens und Wahrnehmens, des Handelns und Denkens bestimmt nicht nur das Figurenarsenal, sondern auch die narrative Struktur des Romans. Dabei erscheinen widersprüchliche Funktionen des Gebauten ineinander verflochten. Architektur bildet ein Modell für das historisch Vorgeprägte, das die privaten Lebensabläufe und öffentlichen Dynamiken steuert und abweichende Wege ins Freie versperrt. Selbst Reformbemühungen oder gar Erlösungshoffnungen laufen Gefahr zu erstarren, wenn sie in Programmen niedergelegt werden und sich in architektonischen Konstruktionen materialisieren. Dem widersetzt sich Musils Schreibprozess, der ein Ende aller ›Gewohnheit‹, ja aller ›Behaustheit‹ in Aussicht stellt – eine ›Architektur ohne Eigenschaften‹, die einer offenen utopischen Lebensform entspräche. Tritt Ulrich zuletzt aus ›dem Haus‹ einer konventionalisierten Sprache heraus und in das Licht hinein, dann endet der Roman abseits aller architektonischen Dispositive – in einer Sphäre jenseits der Differenz von Innen und Außen, Eigenem und Offenem. Diesem Fluchtpunkt von Musils Schreiben will dieses Buch gerecht werden: durch essayistische Kapitelkommentare, die die Bauform des Ganzen aus der Anlage des Partiellen und des Details erschließen sollen.
Aktualisiert: 2023-03-30
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Film ist ein Medium der Kindheit. Schon das frühe Kino zeigte sich fasziniert von der Bewegtheit kindlicher Gesichter und Körper. Filme lenken unseren Blick auf Kinder und sprechen in uns Erfahrungen des Kindseins an. Sie speichern die flüchtige Phase der Kindheit und rufen Erinnerungen wach. Filmschaffende sind herausgefordert, sich auf den Eigensinn kindlicher DarstellerInnen einzulassen, ihr Verhalten, Spielen und Sprechen als Ausdrucksmittel aufzugreifen. Filmtheoretiker wie Béla Balázs und André Bazin postulierten daher eine spezifische Affinität zwischen Film und Kindheit. Dieses Buch folgt dieser Spur, indem es sich der filmischen Darstellung, Erfahrung und Reflexion der Kindheit widmet.
Wie zeigen und inszenieren Filme Kinder?
Welche Perspektive auf Kinder und welche Erfahrung von
Kindheit vermitteln sie?
Welche ästhetischen Formen der Kindheit hat das Medium hervorgebracht?
Entfaltet werden diese Fragen anhand einer – aus dem Modernen Kino erwachsenen – Tradition französischen Filmschaffens, das sich Kindern als Individuen zuwendet und auf sie in ihrer künstlerischen Gestaltung einlässt. Nicht Kinderfilme, Filme für ein Kinderpublikum, sind also Gegenstand dieses Buches, sondern Kindheitsfilme, in denen sich Filmschaffende mit Kindern und Kindheit auseinandersetzen. Dazu zählen Werke namhafter Regisseur*innen wie François Truffaut und Agnès Varda, Maurice Pialat und Jacques Doillon, Claire Denis und Céline Sciamma, ebenso wie solche,
die in der Filmgeschichtsschreibung zu Unrecht vergessen oder übersehen wurden, Spielfilme wie dokumentarische Arbeiten, aus Genres vom Slapstick bis zum Geschichtsfilm.
Im Fokus stehen Kindheitsfiguren, die jenseits einzelner Werke, Epochen oder Stoffe ein Eigenleben entfalten – die ersten Schritte und das Kleinsein, Laufen und Tanzen, bewegte und eingefrorene Gesichter, die Umhüllungen und Verwandlungen der Körper, das Spiel mit Dingen und Rollen, die Kamera auf Augenhöhe und die Verschiebung des Blicks. Anders als konstruktivistische Ansätze, die Kinderbilder oder -narrative erforschen, untersucht die Autorin aus phänomenologischer Perspektive, wie die Körperlichkeit und Erfahrung von Kindern die filmische Gestaltung prägt. Sie untersucht, ob das Medium Film ein spezifisches Wissen von Kindheit vermittelt, das anderen Medien entgeht.
Aktualisiert: 2022-08-30
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Aktualitätsdruck, knappe Aufmerksamkeitsressourcen und mediale Mobilitätsschübe haben zu einer Privilegierung kleiner Darstellungsformate geführt. Diese prägen die Kommunikationspraktiken in diversen – politischen, ökonomischen, wissenschaftlichen, kulturellen – Feldern. Doch sind solche Konjunkturen keineswegs neu. Vielmehr ist die Klage über die ›Flut‹ von Nachrichten, Informationen und Novitäten, die zur Kenntnis genommen werden wollen, spätestens seit der Frühen Neuzeit notorisch geworden. Dabei zeichnet sich ein enger Zusammenhang zwischen Mediengeschichte und der Zirkulation ›kleiner Formen‹ ab, dem sich Band 19 unter vier Gesichtspunkten widmet.
So wenig kleine Formen auf konzise Genres und Formate festgelegt werden können, so sehr ist ihre Existenz, ihr Status und ihre Funktion erstens abhängig von ›materialen und medientechnischen Voraussetzungen‹, die von analogen Drucktechniken bis zu neuesten digitalen Technologien reichen. Hier rückt zweitens eine ›praxeologische Dimension‹ in den Blick, in der kleine Formen nicht als Gegebenheiten, sondern als Resultat vielfältiger Operationen erscheinen. Kleine Formen wären demnach das Ergebnis von Prozeduren des Kürzens und Selegierens, des Komprimierens und Konzentrierens, des Ab- und Ausscheidens usw. Indem solche Formen die Vorzüge des Kompakten, Kondensierten, schnell zu Überschauenden geltend machen, aber auch das Vorläufige, Flüchtige und Ergänzungsbedürftige des Festgehaltenen ausstellen, sind sie mehr als Darstellungsformate und darum drittens für die Erzeugung und Strukturierung bestimmter ›Zeitwelten‹ verantwortlich. Das stellt die Frage danach, wie Medieninnovationen sich mit einer Beschleunigung von Kommunikationsweisen verknüpfen und im Takt von Übertragungsgeschwindigkeiten zu einer Dominanz des Aktuellen und Ephemeren geführt haben. Viertens stellen sich Fragen danach, wie sich das Verhältnis von Medien und kleinen Formen theoretisch und historiographisch erfassen lässt.
Aktualisiert: 2022-08-11
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Aus der langjährigen künstlerischen Zusammenarbeit von Merle Kröger und Philip Scheffner ist ein umfassender Korpus literarischer und audiovisueller Arbeiten entstanden. Die kontinuierliche Auseinandersetzung mit den Geistern der politischen Vergangenheit, die die gegenwärtigen Grenzregime Europas und ihren strukturellen Rassismus prägen, steht im Zentrum ihrer Arbeiten. Durch die Erweiterung der Konventionen des politischen Thrillers einerseits und des dokumentarischen Films andererseits eröffnen sie neue Denk- und Aushandlungsräume für die künstlerische Praxis und den theoretischen Diskurs.
Der Band bringt unterschiedliche Textgattungen in den Dialog: In Arbeitsgesprächen, einer Auswahl von Archivtexten sowie akademischen, essayistischen und persönlichen Beiträgen beleuchtet er die Entstehungsprozesse von Romanen und Filmen und fragt nach den Ur-sprüngen, den Methoden sowie den ethischen und politischen Prinzipien der Zusammenarbeit und der Erarbeitung innovativer selbstreflexiver Formate. Ausgewählte Archivtexte aus den 90er Jahren, der Zeit der Künstlergruppe Botschaft e.V. und des Kollektivs dogfilm verweisen auf die frühe Auseinandersetzung mit dem Dokumentarischen als politischer Arbeitsweise und mit dem Fernsehen als Raum für neue Formate, bereits bevor diese Fragestellungen in den 2000ern unter dem Begriff des »documentary turn« diskutiert wurden.
Ein besonderer Fokus des Bandes liegt auf der empirischen Recherche von Kröger und Scheffner. Autorschaft, Konventionen des künstlerischen, dokumentarischen sowie akademischen Arbeitens, aber auch die Möglichkeiten des politischen Arbeitens generell werden radikal hinterfragt und deren Grenzen kontinuierlich erweitert. In dieser Herangehensweise besteht die hohe Relevanz der Arbeiten im Kontext aktueller Diskurse zur künstlerischen Forschung.
Krögers und Scheffners gleichzeitige Arbeit an Filmen und Büchern zeichnet zudem aus, dass sie sich nicht auf die Einteilung in das Filmisch-Dokumentarische einerseits und das Fiktional-Literarische andererseits reduzieren lässt. Fiktion wird in den Filmen und den Büchern auf verschiedenen Ebenen verhandelt und ist gleichzeitig Methode, in Bild, Ton und Wort. Indem sie die realen Möglichkeiten von Fiktion erkennen, aber auch die Gewalt von bspw. staatlich verordneten Fiktionen, die wiederum Realitäten schaffen, liefern Kröger und Scheffner im Kontext zeitgenössischer Debatten einen gleichermaßen herausfordernden, großzügigen und dringlichen künstlerischen Beitrag.
Aktualisiert: 2022-12-01
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Der Alltag mag alltäglich sein – für seine Darstellung gilt dies keineswegs. Damit ist ein Spannungsverhältnis beschrieben, das die wissenschaftliche Auseinandersetzung mit dem Alltag prägt. Während Soziologie, Politik-, Geschichts- und Kulturwissenschaft gerade auf die Untersuchung von Arbeits- und Lebensroutinen, Wiederholungen, Reproduktion als gesellschaftsbildend zielen, bedeutet die Darstellung des Gewöhnlichen in Kunst, Literatur und Medien – der Versuch also, gerade dieses Gewöhnliche ins Zentrum der Aufmerksamkeit zu rücken – die Herstellung von »Monumenten des Alltags« [Friedrich Balke] und produziert damit eine paradoxale Situation.
Beiden Richtungen gemein ist heutzutage, dass sie den Alltag als Paradigma ernstnehmen, auch wenn dies im Zuge wieder erstarkender Großerzählungen und -ideologien durchaus nicht als gesichert gelten kann. Aus diesem Anlass widmet sich der vorliegende Band dem beschriebenen Spannungsverhältnis, das AlltagsexpertInnen aus verschiedenen Disziplinen und Perspektiven fruchtbar machen. Die Beiträge des Bandes geben einerseits einen historischen und systematischen Überblick über die Auseinandersetzung mit dem Phänomen Alltag aus film- und medienwissenschaftlicher [Heike Klippel], aus literaturhistorischer [Nicolas Pethes], aus politikwissenschaftlicher [Brigitte Bargetz] sowie aus unterschiedlichen kulturwissenschaftlichen Perspektiven [Ben Highmore, Friedemann Schmoll].
Sie werden ergänzt durch Beiträge zu einzelnen Phänomenen der Alltagsdarstellung und deren Verständnis; behandelt werden dabei mit dem Alltag verbundene Parameter wie Realismus, Authentizität, Präsentation und Repräsentation, Ideologie und Identität.
Die Auseinandersetzung um den Alltag wird in der Moderne, versteht man diese mit Jacques Rancière als seit dem 18. Jahrhundert andauernde Epoche westlicher Gesellschaften, von der Frage nach dem epistemologischen Stellenwert des Alltags grundiert. Die eine, prominente und dominante Strömung sieht im Alltag gerade das Gegenteil von Erkenntnismöglichkeit [Hegel, Lukács, Adorno]. Es sind die genannten Routinen, das auf Reproduktion ausgerichtete Leben oder im 20. Jahrhundert die [kultur-]industrielle Taktung von Arbeit und Freizeit, die Reflektion und damit Erkenntnis per se ausschließen. Es sind dann insbesondere Soziologie, Politik- und Kulturwissenschaft sowie Film- und Medientheorie im 20. Jahrhundert, die Alltagserfahrung als Erkenntnismittel nobilitieren.
Der Band fragt also letztlich danach, wie zwischen Alltag und Kunst vermittelt werden kann, wenn beide sich per se gegenseitig ausschließen.
Aktualisiert: 2023-02-16
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Thomas Mann, ein Stilist von Graden, begibt sich ausgerechnet beim Thema Infektion wiederholt in erstaunlich experimentelle Schreibhaltungen. Dabei treten etwa medizinische Exzerpte, platonische Dialogszenen oder musikalische Ausdrucksformen als ›eingegliederte stilistische Fremdkörper‹ in die Funktion, kulturelle und somatische Ausnahmezustände innerhalb der Erzähltextur anzuzeigen.
Was es heißt, sich ›buchstäblich‹ »anstecken« zu lassen, suchte der Schriftsteller mit genuin sprachlich-literarischen Mitteln dadurch sichtbar und fühlbar zu machen, dass er, in musterhaft ausbalancierten Textfeld, das Eindringen heterogener Begriffe, Sprachformen und Stilimpulse zuließ. So greift Thomas Mann für die Schilderung von pathologischen Effekten auf textuelles Fremdmaterial wie Lexikonartikel, medizinischen Fachjargon, visionäre Traumsequenzen oder antike Hexameter zurück; auch der Schneetraum im ›Zauberberg‹ oder der Teufelspakt im ›Faustus‹ fungieren [fast wie Vakzine] als kalkuliert eingesetzte Irritationen. Hinter solchen Manövern des Tonwechsels und der stilistischen Verfremdung steht die produktionsästhetische Auffassung, dass von schweren Beeinträchtigungen der körperlichen oder geistigen Souveränität am plausibelsten auf eine Weise zu sprechen sei, die sich erzählrhetorisch auch selbst ›affiziert‹ zeigt, so dass noch bei der Lektüre vehemente Erschütterungen der literarischen Integrität mit- oder nachzuerleben sind.
Verstellung, Verfremdung, Verwandlung – mit diesen Form-Strategien kann Literatur dazu beitragen, infektiöse Vorgänge auch auf emotionaler Ebene verstehbar und nachvollziehbar zu präsentieren. Jene werden im vorliegenden Band an einer knappen Handvoll einschlägiger Großwerke Thomas Manns nachgezeichnet: ›Buddenbrooks‹, ›Der Tod in Venedig‹, ›Der Zauberberg‹ und ›Doktor Faustus‹.
Aktualisiert: 2021-07-26
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Thomas Mann, ein Stilist von Graden, begibt sich ausgerechnet beim Thema Infektion wiederholt in erstaunlich experimentelle Schreibhaltungen. Dabei treten etwa medizinische Exzerpte, platonische Dialogszenen oder musikalische Ausdrucksformen als ›eingegliederte stilistische Fremdkörper‹ in die Funktion, kulturelle und somatische Ausnahmezustände innerhalb der Erzähltextur anzuzeigen.
Was es heißt, sich ›buchstäblich‹ »anstecken« zu lassen, suchte der Schriftsteller mit genuin sprachlich-literarischen Mitteln dadurch sichtbar und fühlbar zu machen, dass er, in musterhaft ausbalancierten Textfeld, das Eindringen heterogener Begriffe, Sprachformen und Stilimpulse zuließ. So greift Thomas Mann für die Schilderung von pathologischen Effekten auf textuelles Fremdmaterial wie Lexikonartikel, medizinischen Fachjargon, visionäre Traumsequenzen oder antike Hexameter zurück; auch der Schneetraum im ›Zauberberg‹ oder der Teufelspakt im ›Faustus‹ fungieren [fast wie Vakzine] als kalkuliert eingesetzte Irritationen. Hinter solchen Manövern des Tonwechsels und der stilistischen Verfremdung steht die produktionsästhetische Auffassung, dass von schweren Beeinträchtigungen der körperlichen oder geistigen Souveränität am plausibelsten auf eine Weise zu sprechen sei, die sich erzählrhetorisch auch selbst ›affiziert‹ zeigt, so dass noch bei der Lektüre vehemente Erschütterungen der literarischen Integrität mit- oder nachzuerleben sind.
Verstellung, Verfremdung, Verwandlung – mit diesen Form-Strategien kann Literatur dazu beitragen, infektiöse Vorgänge auch auf emotionaler Ebene verstehbar und nachvollziehbar zu präsentieren. Jene werden im vorliegenden Band an einer knappen Handvoll einschlägiger Großwerke Thomas Manns nachgezeichnet: ›Buddenbrooks‹, ›Der Tod in Venedig‹, ›Der Zauberberg‹ und ›Doktor Faustus‹.
Aktualisiert: 2022-09-15
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Photographien und Photogramme sind Lichtspuren, die sich auf Silberbromid niedergeschlagen haben – die einen vermittels des Okulars einer mobilen Black Box auf Film, die anderen als direkte Belichtungen von Gegenständen auf Photopapier. Beiden gemeinsam sind Stillstellung und Vergänglichung von Zeit. Görtz’ »Photogramme« – so nennt sie ihre Prosastücke – verhalten sich dazu gegensätzlich, wie Umkehrfilme. Es sind geschriebene Bilder. Die kurzen Prosastücke reichen von der Minimierung der erzählten Zeit gen Null bis hin zu Überblendungen eines 24-Stunden-Tags mit seinen wandernden Schattenwürfen, Lichtwechseln und Geschehnissen von der Morgenkühle über die Mittagshitze und Abenddämmerung bis in die Nacht hinein – von einer sudanesischen Landschaft, einem Feldweg in Deutschland, einer Lissaboner Straße oder einem Flüchtlingslager in Uganda.
Görtz’ »Photogramme« sind erzählte Tableaux vivants und auch literarische Kurzzeitbelichtungen einer Vielgereisten, deren Augen nicht die Photokamera ersetzen wollen, sondern sie erzählend schlicht überflügeln. Ihre Prosa bringt, eben weil sie nicht den Anspruch auf die ›Objektivität‹ einer kamerabewehrten Reportage erhebt, uns umso viel mehr das sonst Verborgene mit, egal ob geographisch fern oder vor unserer Haustüre unser Blick darauf fällt.
Aktualisiert: 2021-09-03
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Der Lyriker Uwe-Michael Gutzschhahn meldet sich nach einer längeren Pause mit Gedichten zurück. Gedichte voller Erinnerungen an die Jugend, die Liebe, die Reisen an die Meere des Südens, vom Worte-Verschwenden und vom Schweigen, vom Glück, aber auch von Trauer und Wehmut wird erzählt. Präzise, nachvollziehbar, voller Romantik und Poesie nimmt uns der Autor mit in eine Zeit, in der wir stark und frei waren, voller Pläne und Illusionen.
Aktualisiert: 2021-09-03
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Unter dem Gesichtspunkt des Erzählerischen ist und war der Stummfilm nicht stumm. Vielmehr entwickelte dieser eigene Strategien, um die nicht hörbare menschliche Stimme in einem optischen Geschehen zu repräsentieren – aber nicht, um das vermeintliche Manko der Tonlosigkeit zu kompensieren, sondern im Gegenteil als Ausdruck einer großen Faszination an der Stimme – so die zentrale These von Fuseks Studie. Denn die visuelle Darstellung der unhörbaren Stimme geht im Stummfilm weit über die für die Narration nötige Darstellung von Sprechakten hinaus und schlägt sich poetisch, motivisch, medienreflexiv und wirkungsästhetisch innovativ nieder.
Die Autorin fasst den Stummfilm als »Medium von Stimmlichkeit« auf, das verschiedene Erscheinungsformen von »Stimme« produziert, in denen das Verhältnis von Körperlichkeit, Visualität, Sprache und Affektivität neu definiert wird.
Anhand der paradoxalen Figur der »stummen Stimme« geht die Autorin spezifischen Formen der Erscheinungsweisen von Stimme im Stummfilm nach: die direkte Adressierung des Zuschauers durch Zwischentitel verweist noch auf die die Verdrängung der »viva vox« des Filmerklärers aus dem Kino in der Frühphase des Stummfilms; eingebettet in konkrete Film- beispiele werden anhand der Figuren der Taubstummen-, Opern-, der Frauen, Telefon- und der Bauchrednerstimme plastisch ästhetische Strategien der Übersetzung dieser stummen Stimmen in der Frühphase des Kinos herauspräpariert – mit überraschenden Ergebnissen. Ganz nebenbei wird damit der Stummfilm auch aus seiner ihm zugeschriebenen Rolle befreit, nur eine defizitäre Vorform der Gattung Film zu sein, die erst mit Ton und Farbe zu sich selbst gekommen sei.
Aktualisiert: 2021-12-10
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In der Geschichte des Giftes mischten sich immer wieder Wissenschaft und Erzählung. Im 20. Jahrhundert haben sich diese beiden Elemente voneinander geschieden, und Gifterzählungen finden in sich z.B. in Populärkultur, Presse oder Film.
Für die Darstellung von Gift im Spielfilm ergeben sich spezifische Herausforderungen. Indem Giftdiskurse in der Kultur- und Wissenschaftsgeschichte das Phänomen des Gifts kulturell dem Verborgenen, Geheimen, Unzugänglichen und Unergründlichen zuordnen, besteht ein Widerspruch zum Film als einem Medium, das sich durch einen Exzess an Sichtbarkeit auszeichnet. Der Film hält prinzipiell am Mythos von der Unsichtbarkeit des Giftes fest und entscheidet sich für die Fokussierung auf Lüge, Täuschung und Hinterlist. Die vermeintlich liebende Gattin bereitet eine tröstliche Tasse Tee, einen süßen Kakao oder eine würzige Speise. Der korrupte Arzt verabreicht eine ›wohltuende‹ Medizin, der perfide Verführer einen edlen Rotwein. Die Vergiftung ist damit eine Pervertierung des privaten Bereichs und seiner Funktion als Schutzraum. Auch können Vergiftungen nicht spontan oder im Affekt durchgeführt werden, denn sie benötigen ein geheimes Wissen und müssen sorgfältig geplant werden. Gifterzählungen im Film sind deshalb komplizierte Geschichten von ausweglosen emotionalen Verstrickungen, Hinterhältigkeit und Kaltblütigkeit.
Dennoch stellt sich das Problem der Repräsentation des Gifts bzw. der Sichtbarmachung desselben: Wie ist die Beziehung zwischen Motiv und prekärer visueller Darstellung zu sehen? In welchem Verhältnis steht die Unmöglichkeit der Visualisierung des Gifts zur Ausprägung von filmischen Giftmotiven? Lässt sich von einer spezifischen Ästhetik des Gifts sprechen, einer besonderen Art der Darstellung des Undarstellbaren? Diesen und weiteren Fragen geht Klippels anhand von konkreten Filmbeispielen nach.
Aktualisiert: 2021-09-03
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1970 provozierte Karsten Witte mit der Forderung nach einer Theorie des Kinos im Unterschied zu der des Films, die es ja gab. Witte war damals Herausgeber der Schriften Siegfried Kracauers, Kritiker und Literaturwissenschaftler, der erste Filmseminare in Frankfurt am Main hielt. Die Provokation implizierte ein Moment der Praxis: Unterstützung für die Kinobewegung, die in dieser Zeit politisch und cineastisch motiviert um Erhalt und Erneuerung des Kinos kämpfte. »Was geschah danach in Kritik und Wissenschaft?« – dies ist eine erste Frage, die sich das Buch stellt, um zu rekapitulieren, wie und wo Kino in den siebziger und achtziger Jahren ins Zentrum der Aufmerksamkeit gelangte, bevor »die neuen Medien« den Film adaptierten. Am Ende wurde das Interesse ein historisches, das sich bis heute hält und die Theorie zur »Koalition« auffordert.
Heute hat das digitale Medium, das »Bewegtbild«, Einzug in die Kinos gehalten und nivelliert damit augenscheinlich dessen Bedeutung für den Film. Erübrigt es sich? Dieses Buch nimmt das Desiderat einer Theorie des Kinos wieder auf [nicht ohne praktische Absicht] und konzentriert sich auf den Raum in seiner geschichtlichen Wirklichkeit und Wirkung. Der Kinoraum rückt in die Perspektive des historischen Transformationsprozesses der Räume des Privaten und Öffentlichen. Auch das ist eine Wiederaufnahme von Diskussionen der 1970er Jahre. Damals jedoch ging es um Kino im Zusammenhang mit dem »Verfall« der bürgerlichen Öffentlichkeit: Kino als massenkulturelle, als proletarische Öffentlichkeit, als Gegenöffentlichkeit. Im Unterschied zu dieser Diskussion ist das Hauptinteresse des Buchs, das Kino als Teil der Geschichte des Privatraums zu sehen. Als eine Gegenbewegung gegen Mangel, Verlust, Zerstörung und Entleerung eines Raums, der nicht nur die öffentliche Freiheit trug, sondern immer auch im Zusammen mit dem außergesellschaftlichen Leben, Naturprozessen und der »Umwelt« stand.
Aktualisiert: 2022-12-01
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Diese Ausgabe ist ein Schuber, der alle drei Bände erhält:
»NÖSPL«, »Das andere Ende/Neue Xenien« und »Doppelgänger«.
Die Bände sind auch einzeln erhältlich.
Zum Inhalt:
– Eine Poetische Chronik der Geschichte –
Diese Ausgabe sammelt in drei Bänden die Gedichte und die Gedicht-Übersetzungen von B. K. Tragelehn. Vierzig Jahre, von 1957 bis 1997, hat er an vielen deutschen Theatern (erst in der DDR, und seit 1987, nach mehreren Berufsverboten, auch in der BRD) inszeniert, oft Stücke von Shakespeare und anderen Autoren seiner Zeit, die er selbst übersetzt hat, Stücken von Molière, die er gemeinsam mit U. Ludvik übersetzt hat, sowie Stücken von Heiner Müller, dessen Freund, und von Brecht, dessen Schüler er war. So sind viele Gedichte mit der Theaterarbeit verbunden, z. B. Schauspielern gewidmet.
Die Sammlung der Gedichte von 1956–1982, der erste Band, konnte erst in Frankfurt am Main erscheinen. In der DDR war fast nichts gedruckt worden. Der zweite Band sammelt die Gedichte von 1982–2007. Der dritte Band sammelt alle Übersetzungen: von antiken Dichtern wie Ovid über Giordano Bruno bis zu Adam Mickievicz [nach Interlinearversionen] und zu Dichtern des 20. Jahrhunderts wie W. H. Auden und W. C. Williams.
Das Ganze ist eine persönliche Chronik der Geschichte des 20. Jahrhunderts in seiner zweiten Hälfte. Der Herausgeber Gerhard Ahrens hilft mit Anmerkungen über die Schwellen von Ost und West und von Zeitabständen hinweg.
»Man wird diese Gedichte, die von ferne kommen, noch lange brauchen können.«
Martin Zingg über »NÖSPL«, Basler Zeitung, 07.08.1982
»… Aufklärung als Rückerinnerung und wo diese blind bleibt, Neuerschließung, Schritt um Schritt, in den Bereich, den das Gedicht zu öffnen sich vorgenommen hat. Ich halte diesen Gedichtband Tragelehns ohne Rück-halt für beispielhaft.«
Helmut Heissenbüttel, Süddeutsche Zeitung, 14./15.08.1982
Aktualisiert: 2021-09-09
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Musils ›Epochenroman‹ laboriert an einem doppelten Paradox: Woran er die alte Welt festmacht, ist die Unwahrscheinlichkeit ihres Bestehens – ihr ›unzureichender Grund‹. Und worin sich das Geschehen erfüllt, ist der Große Krieg – ein Ereignis, das sich mehrfach und immer dringlicher ankündigt, als narrativer Fluchtpunkt aber außerhalb des zu Musils Lebzeiten gedruckten Romans verbleibt. Man könnte deshalb glauben, es sei eine ganz bestimmte Agenda, die dem grund- und endlosen Erzählverlauf Kontur und Richtung gibt: die des Militärs. Doch tatsächlich nicht zu überlesen ist die Rolle der k.u.k. Administration. Diese nämlich erst schafft aus einer Gemengelage an Personen, Interessen und bürokratischen Eigendynamiken heraus jenes Verwaltungskonstrukt »Kakanien«, das sie trotz aller Widerstände und Widersprüche am Leben erhält; und dieselbe Administration ist es, die mittels vielgestaltiger Organisationseinheiten, Netzwerke und zahlloser Kommunikationskanäle die alte Welt auf Linie [nämlich die zum Krieg] und damit zum Verschwinden bringt. In der Bürokratie entfaltet sich das Paradox des MoE.
Davon zeugt bereits die Entstehungsgeschichte des Romans: Ab Ende 1918 sollte der ehemalige Soldat und Verwaltungsbedienstete Musil im nun ebenso ehemaligen Kriegsministerium dessen Schriftgut in die Erste Republik überführen helfen. »Ich löse auf«, beschrieb er seine Tätigkeit; aber gerade dieses Amt der Liquidierung setzte ihn dazu imstande, Kakanien in der Erzählung auferstehen und zugleich Kapitel für Kapitel zerfallen zu lassen. Denn die gesichteten Aktenbestände belegten präzise, was das Romangeschehen manchmal offenkundig, immer aber untergründig ausrichtet: die prägende Rolle der Bürokratie, den Eigensinn ihres Schrift- und Parteienverkehrs – und die aus ihrer Rationalität der Selbsterhaltung heraus entstehende Möglichkeit, der alten Welt und dem eigenen Fortbestand zuletzt den Grund zu entziehen. Wie aber wird im MoE gerade die Bürokratie zum [zuweilen geheimen] Zentrum eines Erzählens von Epochengeltung?
Die Verwaltung umkreist der Roman in seinen Kapiteln auf unterschiedlichste Art und Weise: es wird gezeigt, wie in Kakanien historisch ungleichzeitige Bürokratien aufeinander prallen, von der Kanzleikultur über den modernen Staatsapparat bis hin zur reform- und gewinnorientierten Geschäftsbürokratie; ein andermal geht es um die selbstreferentielle Rationalität und den eigentümlichen ›Geist‹ der Institution oder um den Habitus, das Amtsethos und die damit verknüpften privaten Leidenschaften ihrer Exponenten; und schließlich wird von Amts wegen ein Messianismus ausgemalt, der die fatalen Zeitläufte im »Fortwursteln« zum Halten bringt oder die Möglichkeit einer anderen Geschichte zumindest in der Schrift bewahrt; aufgerufen werden wiederholt administrative Kultur- und Medientechniken, vom Verhandeln und Entscheiden bis zur Aktenführung und -versendung; und schließlich verraten etliche Kapitel, wie versiert Musil selbst mit bürokratischen Organisationsverfahren zu navigieren wusste, als er sein uferloses Textmaterial auf den Kanzleipapieren einer untergegangenen Welt zum Roman disponierte.
Um die Komplexität des MoE partiell und exemplarisch einzufangen, folgt auch dieser zweite Band der Reihe Teilweise Musil dem Verfahren essayistischer Kapitelkommentare: das Textgeschehen im Kleinen rückt er in jenen weiten Horizont, den Kakaniens alte Welt umschreibt.
Aktualisiert: 2022-05-03
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Eine Poetische Chronik der Geschichte
Diese Ausgabe sammelt in drei Bänden die Gedichte und die Gedicht-Übersetzungen von B. K. Tragelehn. Vierzig Jahre, von 1957 bis 1997, hat er an vielen deutschen Theatern (erst in der DDR, und seit 1987, nach mehreren Berufsverboten, auch in der BRD) inszeniert, oft Stücke von Shakespeare und anderen Autoren seiner Zeit, die er selbst übersetzt hat, Stücken von Molière, die er gemeinsam mit U. Ludvik übersetzt hat, sowie Stücken von Heiner Müller, dessen Freund, und von Brecht, dessen Schüler er war. So sind viele Gedichte mit der Theaterarbeit verbunden, z. B. Schauspielern gewidmet.
Die Sammlung der Gedichte von 1956–1982, der erste Band, konnte erst in Frankfurt am Main erscheinen. In der DDR war fast nichts gedruckt worden. Der zweite Band sammelt die Gedichte von 1982–2007. Der dritte Band sammelt alle Übersetzungen: von antiken Dichtern wie Ovid über Giordano Bruno bis zu Adam Mickievicz [nach Interlinearversionen] und zu Dichtern des 20. Jahrhunderts wie W. H. Auden und W. C. Williams.
Das Ganze ist eine persönliche Chronik der Geschichte des 20. Jahrhunderts in seiner zweiten Hälfte. Der Herausgeber Gerhard Ahrens hilft mit Anmerkungen über die Schwellen von Ost und West und von Zeitabständen hinweg.
»Man wird diese Gedichte, die von ferne kommen, noch lange brauchen können.«
Martin Zingg über »NÖSPL«, Basler Zeitung, 07.08.1982
»… Aufklärung als Rückerinnerung und wo diese blind bleibt, Neuerschließung, Schritt um Schritt, in den Bereich, den das Gedicht zu öffnen sich vorgenommen hat. Ich halte diesen Gedichtband Tragelehns ohne Rück-halt für beispielhaft.«
Helmut Heissenbüttel, Süddeutsche Zeitung, 14./15.08.1982
Aktualisiert: 2021-09-03
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