Regen in Moskau
Zsuzsa Selyem
Sie sah die Trümmer des Abendessens, die Tierknochen unter dem Tisch, die Menschenknochen im Graben, ihren Vater, der behaglich ihrer Mutter beim Ziehen an der langen Zigarettenspitze zuschaute, sah ihre arglose kleine Schwester am Schoß des einen Mannes, sah den anderen fremden Mann, der jeden, aber in erster Linie sich selbst verriet und so durch die Diktatur lavierte, sie sah die Hasenjagd, die an jenem Tag stattgefunden hatte, jeden einzelnen Hasen für sich, sah die verwaisten Hasenkinder verhungern, sah andere Jagden, auf Rehe, Füchse, Wildschweine, Hirsche, sah den Diktator bei den Futterkrippen auf Bären schießen, sah ihre Mutter bis zum Schenkel im Wasser Reis schneiden, sah ihren Vater erschlagen bei der Securitate, sah ihren Vater mit einundachtzig Jahren im Dezember 1989 auf offener Straße ganz aufrecht in die Revolution spazieren, sah mit eigenen Augen, dass der Diktator wie ein gehetztes Tier floh, dann aber wie ein Hund erschossen wurde, und sah, alles war voller Freude, voller Schmerz.
„Sie bringt die fern Stehenden nah, mir dringt sie bis ins Herz. Zsuzsa Selyem kann auf eine unglaubliche Weise erzählen. Ihre weitverzweigte Geschichte hat mich völlig in ihren Bann gezogen. Sie nimmt mich mit in nie gesehene Landschaften, hebt mich empor in nie wahrgenommene Dimensionen, vermischt das Böse und Süße auf eine Art, dass ich keinen Augenblick gezwungen bin, mein Realitätsgefühl zu verlieren, denn ihre persönliche Vision ist unsere fürchterliche gemeinsame Geschichte.“
Péter Nádas