Die neunte Nacht
Michael Kahn-Ackermann, Luo Ying, Tobias Zaft
In „Die neunte Nacht“ schildert Luo Ying in Form einer Folge von Tiermonologen die emotionalen Konflikte, die das Leben im heutigen wirtschaftlich prosperierenden China, das vom Kampf um Macht und Geld beherrscht wird, bestimmen. Indem er in Gestalt eines Pferdes und einer Katze, angelehnt an ambivalente Trickster-Figuren aus Mythologie und Literatur, in Sprache und Handlungen moralische Grenzen auslotet und provokativ überschreitet, verändert er nicht nur sein Selbst, sondern nimmt auch einen Perspektivwechsel vor. Aufgrund der Wandlungsfähigkeit dieser beiden Charaktere ist ihnen keine sexuelle Erfahrung fremd, sie besitzen eine enorme Libido, verfügen über ein nicht unerhebliches Gewaltpotenzial, bleiben aber trotz Normenverletzungen und Regelbrüchen – wenn auch teilweise isoliert – Teil der Gesellschaft. Da den Trickstern traditionell per definitionem auch die Fähigkeit zugesprochen wird, zu Veränderungen und Umdenken zu motivieren, spiegeln Pferd und Katze dem Leser hier Missstände, die das Anliegen des Autors, davor zu warnen und zur konsequenten Umkehr aufzurufen, zum Ausdruck bringen. Die Enthüllung der dunklen Seite der eigenen Seele ist ein erster Schritt zu Moral und Anstand.
18 Illustrationen von Tobias Zaft unterstreichen das moderne Setting, in dem sich Luo Yings Gedicht bewegt, kongenial, da sie die beiden Mutationen des Autors als comicartige Protagonisten an Schauplätzen verorten, die das käufliche und von Konsum und Gier getriebene China abbilden.
Luo Ying (Pseudonym des gefeierten Dichters, Milliardärs und Bergsteigers Huang Nubo) begreift sich als „Steinewerfer“ und seine Dichtung als klare künstlerische Positionierung und Ausdruck seiner politischen Haltung. In seinen Werken verknüpft er immer wieder Gesellschaftskritik mit eigenen biografischen Erfahrungen.