Der Ortenberger Altar
Ewald Vetter
Dem Reisenden durch das Großherzogtum Hessen empfahl Karl Wagner 1849 unbedingt den Besuch der Kirche zu Ortenberg mit den Worten: „Das Interessanteste im Innern ist jedoch das Altar-Gemälde, eines der schönsten Kunstwerke dieser Art aus dem fünfzehnten Jahrhundert“. Großherzog Ludwig III. hatte, wie es die 1858 begonnene Pfarrchronik berichtet, 1866 „von dem Gemälde Kunde erhalten und interessierte sich sehr für dasselbe“, so daß „Kirchen- und Stadtvorstand beschlossen, Seiner Königlichen Hoheit dasselbe zum Geschenk zu offerieren“.Ludwig III. überwies den Ortenberger Altar dem Großherzoglichen Hessischen Museum in Darmstadt. Seitdem bildet dieses Kleinod mittelrheinischer Malerei des frühen 15. Jahrhunderts einen der Hauptanziehungspunkte der Darmstädter Sammlungen. Kein Reiseführer durch Darmstadt versäumte es, auf dieses Altarbild besonders hinzuweisen, zumal schon 1908 Friedrich Back eine erste kunsthistorische Würdigung vorlegte und das Bild 1927 zu den Höhepunkten der Darmstädter Ausstellung „Alte Kunst am Mittelrhein“ zählte. In zahlreichen Publikationen wurde das Bild gewürdigt, eine monographische Behandlung jedoch zunächst durch die Wirren des 2. Weltkrieges verhindert.Am 2. 8. 1943 begann durch die kriegsbedingte Evakuierung eine Irrfahrt des Ortenberger Altars, die fast fünfzehn Jahre dauern sollte. Erst 1958 kam er wieder ins Darmstädter Museum. Obwohl das Interesse an dem Altars ungebrochen ist – so wählte ihn 1986 die Deutsche Bundespost als Motiv für eine Weihnachtsbriefmarke, 1995 brachte Unicef eine Weihnachtskarte mit einem Detail heraus, das Hessische Fernsehen produzierte einen Fernsehfilm über den Altar, zahlreiche populäre und wissenschaftliche Publikationen würdigen ihn als eines der Hauptwerke deutscher Malerei des Mittelalters -, hat es doch bislang nur eine knappe monographische Einführung von Gerhard Bott und Wolfgang Beeh von 1981 gegeben. Eine ausführliche Behandlung des Altars ist von Seiten der Kunstgeschichte seit langem als ein Desiderat angesehen worden. Ewald M. Vetter, Professor für mittelalterliche Kunstgeschichte und profunder Kenner mittelalterlicher Kunst, legt mit diesem Band eine ausführliche Arbeit über den Altar, insbesondere über Ikonographie und die geistes- und frömmigkeitsgeschichtlichen Hintergründe des Werkes vor. Der Band wird ergänzt durch eine stilkritische Studie von Dorit Hempelmann und einer technologischen Untersuchung der Restauratorin Renate Kühnen. Damit wird zum erstenmal ein Buch allein dem Ortenberger Altar gewidmet, dessen Bedeutung eine derart breite Beschäftigung sicherlich rechtfertigt. Dem interessierten Laien wie dem Fachwissenschaftler bietet dieses Buch zahlreiche Informationen zum Ortenberger Altar und hilft damit zu erklären, warum gerade dieses Altarbild auch heute als eines der schönsten aus dem frühen 15. Jahrhundert gilt. Zahlreiche Farbabbildungen dokumentieren die Schönheit des Altars, Vergleichsabbildungen erschließen den kunsthistorischen Kontext und ausführliche Literaturhinweise ergänzen den Band.