Die Befugnis zu Eingriffen in die Rechtsstellung des einzelnen durch Betriebsvereinbarungen.
Sebastian Müller-Franken
Seit Jahren befinden sich der Tarifvertrag auf dem Rückzug und die Betriebsvereinbarung auf dem Vormarsch. Das Bedürfnis nach Arbeitsbedingungen, die dem einzelnen Betrieb angepaßt sind, nimmt stetig zu. Im Zuge dieser Entwicklung entfalten die Betriebspartner immer weitgehendere Regelungsaktivitäten. Geht es dabei nur um organisatorische oder begünstigende Regelungen, ist dies unter dem Aspekt des Individualschutzes unproblematisch. Sobald aber Betriebsvereinbarungen in die Rechtsstellung des einzelnen belastend eingreifen, werden Gefahren für dessen Freiheit heraufbeschworen.
Gegenstand der Untersuchung ist die Frage, ob und, wenn ja, unter welchen Voraussetzungen dies zulässig ist. Die Antwort hängt ab von der Legitimation der Betriebsvereinbarung, ihrem rechtfertigenden Grund. Hier zeigt sich, daß – anders als beim Tarifvertrag – ein von der Selbstbestimmung des einzelnen getragenes Verhalten nicht nachgewiesen werden kann. Fehlt der Betriebsvereinbarung aber ein privatautonomes Fundament, kann sich ihre Legitimation einzig aus dem Gesetz ergeben. Dies jedoch hat Folgen für belastende Regelungen: Ist die Betriebsverfassung eine gesetzliche Pflichtveranstaltung, besitzt sie die gleiche Legitimationsbasis wie eine Zwangskörperschaft des öffentlichen Rechts. In diesem Fall gelten jedoch für Eingriffe in die Freiheit des einzelnen besondere Anforderungen: der Vorbehalt des Gesetzes fordert eine spezielle, dem Bestimmtheitsgebot genügende parlamentsgesetzliche Ermächtigungsgrundlage. Der Autor weist nach, daß nicht nur die Ähnlichkeiten beider Bereiche, sondern vor allem auch die den Vorbehalt des Gesetzes tragenden Verfassungsprinzipien danach verlangen, eingreifende Betriebsvereinbarungen an den gleichen Maßstäben zu messen, wie sie auch sonst an das Handeln von Zwangskörperschaften angelegt zu werden pflegen. Die derzeit praktizierte Auslegung des geltenden Rechts wird dem indes nicht gerecht.