Im Schatten der Kolossalfiguren
Basisdokumente zum Neuen Forum und zur Rolle der Schriftsteller in Leipzig 1989
Reinhard Bernhof, Silke Brohm, Viktor Kalinke
Mitte September 1989 brachte Dieter Mucke aus Halle den Aufruf des neu gegründeten Neuen Forums nach Leipzig und gab Reinhard Bernhof als Kontaktmann an. Bernhof und seine Frau übernahmen es als erste in Leipzig, Unterschriften zu sammeln. Viele wollten den Aufruf nicht unterschreiben, sie fürchteten Konsequenzen, hatten sich eingerichtet in der DDR. „In Wirklichkeit war der Aufbruch ein mühevolles Anschieben.“ (Sylvia Kabus) Ein illegales Video von Peter Franke zeigt Bernhof bei dem ersten öffentlichen Auftritt des Neuen Forums in der Michaeliskirche. Bei Michael Arnold in der Zweinaundorfer Straße 20A trafen sich die Bürgerrechtler. Die Gruppierungen um Pfarrer Wonneberger – Arbeitskreis Gerechtigkeit, Arbeitsgruppe Menschenrechte, Arbeitsgruppe Umweltschutz – verfaßten Aufrufe gegen Gewalt und für mehr Demokratie im Sozialismus und ließen sie bereits am 25. September in Kirchen verlesen, als noch Schlagstöcke im Einsatz waren. Später sprachen die Medien nur noch von dem Aufruf, den SED-Bezirks¬leitungs¬mit¬glied Roland Wötzel initiierte und am 9. Oktober im Leipziger Stadtfunk durch Kurt Masur vortragen ließ. Am Abend des 4. Dezember 1989 besetzten und versiegelten Reinhard Bernhof, Hubert Witt, Sylvia Kabus sowie weitere Demonstranten die Leipziger Stasi-Zentrale „Runde Ecke“ und andere Gebäude, die von Truppen des Innenministeriums benutzt wurden. Bei der Besetzung sagte General Manfred Hummitsch: Wir haben die falschen Leute verfolgt. Bernhof entgegnet: Wer waren die Richtigen? Die Ursprünge der Leipziger Bürgerrechtsbewegung gerieten zunehmend in Vergessenheit oder wurden durch den Heldenstadtmythos und seine wendehalsigen Protagonisten verschleiert. Der hier veröffentlichte Katalog zeigt wichtige Dokumente des Leipziger Aufbruchs im Herbst 1989 und die Rolle der Leipziger Schriftsteller in dieser Zeit.