sand im gegenschuss
lyrik der gegenwart band 49
Christine Huber
57 Gedichte , 2 Gedichtzyklen und 7 Grafiken
Der Beginn eines Gedichts kann als Schnitt aus der Wahrnehmung (innere, äußere; Alltag, Natur, ein Gefühl, eine Überschrift usw.) gelesen werden. In der Folge aber, wenn diese Notiz oder Aufzeichnung zu Papier gekommen ist, übernimmt ein anderer Prozess. Es kommt zu einer Art von Folgen (im Sinn von Nachfolgen) dessen, was an sprachlichen Modulationen, an Verdrehungen, Umdrehungen, Verwerfungen weitergeführt ist bzw. einfällt. Anschließend werden neue Wahrnehmungspartikel eingeflochten und der Prozess erneut in Gang gesetzt. So hat jedes Gedicht auch eine Art Mehrstimmigkeit: Wahrgenommenes, das notiert wurde (kurz, reduziert) und einem sprachlichen Einfall, der weiterführt, das Notierte relativiert und dazu in Konfrontation geht.
Die Nutzung der konsequenten Kleinschreibung, der nicht vorhandene Einsatz von Satzzeichen ermöglicht, diese zwei Prozesse noch direkter aufeinander prallen zu lassen: Was jetzt woher kommt wird nicht sichtbar gemacht. Es entsteht ein Kondensat.
Somit werden die Zeilenbrüche ein wichtiger Strukturgeber. Lesbarkeiten über den Zeilenrand sind möglich, aber nicht unbedingt zwingend. Es bleibt offen, ob das Zeilenende eine Grenze bildet oder ein Platzhalter ist für Ausgelassenes, Nicht-Notiertes oder als Überleitung in die nächste Zeile mitgelesen wird. Auch der Einsatz einer stark fragmentierten Syntax soll dabei mithelfen. Sätze sind auf Satzfetzen reduziert und erlauben es, Bezüglichkeiten offen zu lassen. Außerdem entseht eine Art Nachhall: Das Nicht-Aufgeschriebene, Nicht-Ausgeführte evoziert die Fortsetzung, rekuriert auf Gewohnheiten und Üblichkeiten, ohne diese zu benennen, fordert mit Leerstellen heraus.