Im Unterschied zur non-verbalen Kunst und Technik bildet die Sprache das Medium der Wissenschaft, und wiederum anders als in den Naturwissenschaften, wo sich derselbe Inhalt ohne signifikante Verluste unterschiedlicher Sprachhüllen, wie auch audiovisueller Mittel bedienen kann, stellen die natürlichen Sprachen das wesentliche und einzige Medium der Geisteswissenschaften dar. Daraus ergeben sich spezifische Schwierigkeiten beim Wissenstransfer von einer Sprache bzw. Kultur in eine andere. Außerdem zeichnen sich die Geisteswissenschaften, nicht geringer als die Natur- oder Sozialwissenschaften, durch eine Fachterminologie aus, die erst nach und nach, in einem langen historischen Prozess, herausgebildet wird. Dieser Prozess kennt abwechselnde Phasen einer stärkeren bzw. weniger starken Intensität, abhängig von der internationalen Wissensdynamik im Allgemeinen, aber auch von der Stufe, auf der sich eine Nationalkultur im Besonderen befindet. So verläuft die Herausbildung einer fachspezifischen Begrifflichkeit am Beginn einer modernen Kultur intensiver als sonst, wenn die Kombination zwischen sprachlichen Anleihen (sog. Fremdwörtern) und dem Austesten des Potentials der natürlichen Sprache, abstrakte Inhalte zu transportieren, zu massiven Änderungen innerhalb weniger Jahrzehnte führt. Es ist hier nicht der Platz, um solche Prozesse in ihrer Komplexität ausführlich zu erörtern, sondern es reicht für unseren Zweck bloß anzumerken, dass auch die rumänische moderne Kultur solchen Sprachbildungsoperationen unterzogen wurde. Der Unterschied zu anderen Kulturen besteht dabei allein in einer gewissen Zeitverschiebung, insofern als die sprachlichen, wie auch die institutionellen Grundlagen der Geisteswissenschaften – historisch bedingt – erst im 19. Jahrhundert gelegt werden konnten. Und dazu haben westliche Modelle – hauptsächlich das französische, mit dem auch eine Sprachnähe bestand, und das deutsche – beigetragen.
Rezeption, Übersetzung, Interpretation – das sind die Schritte, durch welche die junge moderne rumänische Kultur konstituiert wurde. An diesem Prozess waren wesentlich junge Wissenschaftler beteiligt, die in Frankreich, Deutschland oder im Habsburgerreich (später in Österreich-Ungarn) studiert haben und nach ihrer Rückkehr in die rumänischen Fürstentümer, nach Siebenbürgen, ins Banat oder in die Bukowina (ab der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts ins Königreich Rumänien, nach 1918 nach Großrumänien) eine überaus rege kulturelle und wissenschaftliche Tätigkeit entwickelt haben. So haben sie akademische und wissenschaftliche Institutionen wie die Universitäten oder die Rumänische Akademie ins Leben gerufen, wissenschaftliche Übersetzungen selbst getätigt oder angeregt und sich nicht zuletzt mit westlichen Denkströmungen – wohlgemerkt auf Rumänisch und vor allem im 19. Jahrhundert explizit zum Wohl des rumänischen Volks – auseinandergesetzt.
Dabei galt die Suprematie des französischen Kulturmodells in Rumänien lange Zeit als unumstritten. Das mag zwar für die Literatur, die Kunst und den Lebensstil gelten wie auch in der politischen Geschichte, wo Lucian Boias rezenter Hinweis auf ein Lager der „Germanophilen“ vielen immer noch als ein Tabubruch gilt, ist aber weniger deutlich für die Sozial- und Geisteswissenschaften festzustellen. Ein Versuch, französische und deutsch-österreichische kulturelle Einflüsse durch derzeit so beliebte Quantifizierungsmethoden miteinander zu vergleichen und gegeneinander aufzurechnen, wäre aber, wenn nicht aussichtslos, zumindest sinnlos. Doch waren rumänische Intellektuelle bestrebt, diese Einflüsse qualitativ miteinander zu vergleichen, um etwa zu schlussfolgern, wie der „germanophile“ Nichifor Crainic, dass die französische Kultur in der rumänischen eine bloße Nachahmung auslöse, während die deutschsprachige Kultur eher „katalysierend“ wirke, insofern sie die rumänische Kultur zur Selbstfindung anrege. Tatsache ist jedenfalls, dass vielen an deutschen und österreichischen Universitäten ausgebildeten Geisteswissenschaftlern wesentliche Beiträge zur Entstehung und Entwicklung einer Wissenschaftslandschaft in Rumänien zu verdanken sind; dies anhand ausgewählter Beispiele zu zeigen und argumentieren, steht im Mittelpunkt des vorliegenden Sammelbandes.
Wir haben uns vorgenommen, dieses komplexe Phänomen des geisteswissenschaftlichen Kulturtransfers (der in einem viel kleineren Maß und mit geringeren Folgen auch umgekehrt – vom rumänischen Kulturraum in Richtung Deutschlands und Österreichs – zu verzeichnen ist) von drei verschiedenen Standpunkten aus zu behandeln: 1. aus kulturgeschichtlicher Perspektive (Übersetzungskulturen), indem Fallstudien sich mit der Auswirkung verschiedenartiger Formen des Transfers (und hauptsächlich der Übersetzungen) auf das geistige Leben in der rumänischen Gesellschaft entlang ihrer Geschichte beschäftigen – von der Bildung des philosophischen Wortschatzes bis zu der Gestaltung von Übersetzungstraditionen und -schulen; 2. von der Translationswissenschaft ausgehend (Übersetzen), deren analytischen Methoden die Wege (oder Irrwege), wie auch die Bedingungen der Übertragung solcher Texte von einer Sprache in die andere rekonstruieren können; 3. aufgrund der individuellen Erfahrung von ÜbersetzerInnen (Übersetzer), die die zahlreichen Dilemmata ihrer unmittelbaren Auseinandersetzung mit Texten, und darin mit semantischen Feldern von Schlüsselausdrücken, mit Begrifflichkeiten, mit Stilen, mit kulturellen Horizontdifferenzen darlegen. Die Zusammensetzung des auf diese Weise entstandenen Bandes erhebt keinen Anspruch, die Materie vollständig auszuschöpfen: sie soll lediglich deren Ausbreitung und Vielschichtigkeit, wie auch den überragenden kulturwissenschaftlichen Einsatz andeuten.
Das Interview mit Professor Mircea Flonta, der auch als Übersetzer Kants und Wittgensteins bekannt ist und ganze Generationen von Philosophieabsolventen an der Universität Bukarest ausgebildet hat, die beachtenswerte Dokumentation über die politisch-propagandistische Indienstnahme der Übersetzungspraxis (mit Bezug auch auf Rumänien) im Dritten Reich, Rezensionen und die übliche Miscellanea-Rubrik ergänzen dieses von deutsch-, englisch- und französischschreibenden rumänischen und österreichischen ForscherInnen (PhilosophInnen, PhilologInnen, HistorikerInnen und letztendlich ÜbersetzerInnen) getragene Unterfangen. Für deren Bereitschaft mitzumachen, bedanken wir uns herzlich. Ebenfalls bedanken wir uns bei dem Österreichischen Kulturforum in Bukarest, dessen großzügige Unterstützung (auch diesmal) die Erscheinung des vorliegenden Bandes ermöglicht hat.
Aktualisiert: 2020-03-17
Autor:
Elisabeth Berger,
George Bondor,
Dragos Carasevici,
Gabriel Cercel,
Alexandra Chiriac,
Alex Cistelecan,
Romanita Constantinescu,
Andrei Corbea-Hoisie,
Gabriel H Decuble,
Madalina Diaconu,
Christian Ferencz-Flatz,
Magda Jeanrenaud,
Gabriel Kohn,
Hans Neumann,
Ioan Oprea,
ANA MARIA PĂLIMARIU,
Radu Gabriel Parvu,
Julia Richter,
Larisa Schippel,
Rainer Schubert,
Ion Tanasescu,
Andrei Timotin,
Emanuela Timotin,
Ioan Alexandru Tofan,
Ramona Trufin
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