Ansatz und Bewertung der Aktiva und Passiva der GmbH in der Krise, insbesondere nach § 30 I GmbHG
Jürgen Neuberger
Die herrschende Meinung in Literatur und Rechtsprechung bestimmt den Ansatz und die Bewertung eines Vermögensgegenstands der GmbH während der Gründung, der Kapitalerhaltung und der insolvenzrechtlichen Überschuldung jeweils unterschiedlich. Mal sind Marktpreise, mal Anschaffungs- und Herstellungskosten, mal Buchwerte und mal Liquidationswerte maßgebend. Dies führt zu unterschiedlichen Ansätzen und Bewertungen der Vermögensgegenstände in den verschiedenen Stadien. Der Autor untersucht die Differenz zwischen Buch- und Zerschlagungswerten und kommt zum Ergebnis, dass die von der herrschenden Meinung bei Buchwerten im Verhältnis zu Zerschlagungswerten immanent bejahten stillen Reserven weit geringer sind, als von der h.M. angenommen. Das GmbH-Gesetz von 1892 legte der Unterbilanz nach § 30 I GmbHG, dem Verlust der Hälfte des Stammkapitals nach § 49 III GmbHG und der Überschuldung nach §§ 63, 64 I GmbHG einheitlich die Jahresabschlussbilanz zu Grunde. Diese Einheitlichkeit ist seitdem verlorengegangen. Insbesondere unter Beachtung der historischen Bezüge und unter besonderer Berücksichtigung des Schutzes der GmbH-Gläubiger definiert die Studie ein einheitliches und vom jeweiligen Stadium unabhängiges Verständnis vom Ansatz und von der Bewertung eines Vermögensgegenstands. Aufgrund des Grundsatzes der doppelten Vorsicht ist sowohl der jeweilige Buchwert als auch der jeweilige Zerschlagungswert bzw. sowohl eine Handelsbilanz als auch ein Überschuldungsstatus zur Ermittlung des jeweiligen Zustands der GmbH relevant (kumulative Methode). Wird die kumulative Methode angewandt, so geht die Existenzvernichtungshaftung weitgehend in der Kapitalerhaltung nach §§ 30 I, 31 GmbHG auf. Damit bedarf es der Existenzvernichtungshaftung allenfalls noch in Randbereichen. Der Autor spricht sich dafür aus, bei der Vorbelastungsbilanz zur Eruierung einer Vorbelastungshaftung der Gesellschafter auf den auf einer Prognose beruhenden Ertragswert ebenso wie auf den Prognose-basierten Insolvenztatbestand der drohenden Zahlungsunfähigkeit sowie auf die Fortbestehensprognose bei der insolvenzrechtlichen Überschuldung zu verzichten, da Prognosen per se unsicher sind. Diese Unsicherheit kann den GmbH-Gläubigern insbes. nach Verzehr des Stammkapitals nicht zugemutet werden. Stattdessen plädiert er für ein Antragsrecht bereits bei Angriff auf das Stammkapital nach § 30 I GmbHG.