Benzion Kellermann
Prophetisches Judentum und Vernunftreligion
Torsten Lattki
Der heutzutage weitgehend vergessene Religionsphilosoph und Rabbiner Benzion Kellermann (1869–1923) war eine wichtige Persönlichkeit des Berliner liberalen Judentums vor der Schoa. Als selbstständiger Schüler Hermann Cohens forderte er, von Kant und dem Marburger Neukantianismus ausgehend, die Herausbildung einer universalen Menschheitsreligion der Vernunft. Das liberale Judentum sah er bis dato als einzige Religion, die sich schrittweise diesem Ideal annähern würde. Deshalb blieb er immer ein überzeugter und dem Christentum gegenüber selbstbewusster Jude, wie es sich in einer intensiven Debatte mit Ernst Troeltsch während des Ersten Weltkriegs zeigte. Kellermanns Biografie entkräftet die pauschalen Anklagen, dass liberaljüdische Selbstverständnisse immer eine Selbstverleugnung oder Aufgabe jüdischer Identität gewesen seien, und zeigt stattdessen die Vielfalt möglicher Identitätskonstruktionen innerhalb des deutschen Judentums auf. Er verband die jüdische Religion mit der Kantischen Philosophie durch die biblischen Propheten, denn diese würden mit ihrem „ethischen Monotheismus“ eine inhaltliche Kongruenz zum Denken Kants aufweisen. Die vorliegende erste Werkbiografie Kellermanns leistet einen wichtigen Beitrag für die Erforschung der jüdischen Geistesgeschichte von den 1870er Jahren bis in die Anfänge der Weimarer Zeit, der für die Jüdischen Studien, die christliche Theologie, die Philosophie und die Geschichts- und Kulturwissenschaften bedeutsam ist.