Das kartografische Prinzip in Rolf Dieter Brinkmanns „Rom, Blicke“
Mira Witte
Rolf Dieter Brinkmanns Materialband „Rom, Blicke“ bildet ein dichtes und verworrenes Text-Bild-Geflecht, das einen linearen Rezeptionsprozess unmöglich macht. Stattdessen begeht jeder Rezipient und jede Rezipientin jeweils eigene Wege durch das multimediale Werk, das unendliche viele Ein- und Ausgänge, Verknüpfungen und Dimensionen bietet.
Während seines Aufenthaltes in Rom entdeckt Brinkmann die Kartografie als für ihn neues Instrument zur Sicherung und Verortung der von ihm akribisch gesammelten ‚Sinnesdaten‘ seiner Umgebung, die in ihrer Fülle ein verrohtes und verkommenes Bild der Stadt Rom zeichnen.
Der vorliegende Band untersucht Brinkmanns Umgang mit dem Medium Karte und verfolgt das intermediale Spiel, das sich auf den Karten und ebenso in Bezug auf das gesamte Werk ereignet. Gezeigt wird, dass der Materialband „Rom, Blicke“ als heterogenes rhizomatisches Werk einem grundlegenden ‚kartografischen Prinzip‘ folgt: in der Darstellung dominiert Gleichzeitigkeit statt Chronologie, dichtgedrängt stehen verschiedene Zeichensysteme neben- und übereinander, unterschiedliche Diskurse, die nicht eingeordnet oder hierarchisiert werden, treffen aufeinander – und all das ohne einen vorgegebenen Rezeptionsweg. Dieses kartografische Prinzip ermöglicht es, eine vollkommen fragmentarisierte Wahrnehmung der Umwelt abzubilden, die so niemals ‚erzählt‘ werden könnte.