Das letzte Wort.
Der Richter späte Gewalt.
Walter Leisner
Die Judikative wird bisher vor allem in ihrer Unabhängigkeit betrachtet, im Übrigen in den Einzelheiten ihrer Organisation und ihres prozessualen Wirkens. Es gilt jedoch, sie als solche systematisch vertiefend zu untersuchen: Ist dies eine »Verfassungsgewalt«? Das wird hier versucht, in der Begründung vor allem folgender Thesen:
– Rechtsprechende Tätigkeit lässt sich in der Vielfalt ihrer Rechtswirkungen nicht erfassen. Funktional ist eine »Dritte Gewalt« nicht zu definieren.
– Am nächsten kommt dem noch der Hinweis auf das »Letzte Wort«, das den Richtern vorbehalten ist. »Unabhängig« ist auch manch andere Staatsinstanz.
– Die Gerichtsbarkeit ist wesentlich und vielfach »verschränkt« mit Legislative und Administrative, deren Entscheidungen sie verendgültigt.
– Richterrecht ist notwendig; »Gesetz« ist für den Bürger das abschließende Richterwort.
– Verfassungsgerichtsbarkeit ist eine Form der Judikative sui generis, etwas wie eine eingeschränkte Verfassungsgesetzgebung, verfassungssouverän im Sinne des Dezisionismus.
– »Macht der Richter« gibt es als solche so wenig wie einen »Richterstaat«. Dem auf den Einzelfall gerichteten Richtertum ist (durch)brechend-flächendeckender Gewalteinsatz fremd. Richter handeln kaum je machtbewusst.
– Gerichte sind Instanzen »moralisierender« Staatsgewalt. Doch aus Moral erwächst nicht Richtermacht.
– Richterliche Gewalt kommt notwendig und überzeugend spät – oft zu spät. Dies nimmt ihr entscheidend Mächtigkeit, die sie mit Recht der Gründlichkeit opfert.
– Richter brauchen nicht Reformen, sondern Ruhe.
Aus dem Vorwort