Das pralle Leben von Meyer,  Barbara

Das pralle Leben

Schöne scharfe Geschichten

„Ihre Mundwinkel verzogen sich leicht. ‚Mit einiger Anstrengung lässt sich aus Ihnen vielleicht doch noch etwas machen.‘ “ … Wer kennt sie nicht, die lieben Mitmenschen, die alles besser wissen und die versuchen, Einfluss auf unser Lebens zu gelangen … Lesen Sie, wie es dabei anderen ergehen kann und tauchen Sie ein in ein Kaleidoskop amüsanter und kurzweilig beschriebener menschlicher Beziehungen.
Leseprobe aus dem Kapitel „Endlich“: Als Philip bei Vollmond ungeachtet seiner Bügelfalten vor mir kniete, war ich begeistert. Ein Mann mit Sinn fürs Dramatische! Wahrscheinlich war er deshalb auch Anwalt geworden, denn seine Auftritte vor Gericht waren spektakulär. Ich strich ihm über sein strubbeliges Haar und erklärte mein Einverständnis bezüglich seines tiefsten Wunsches: Er wollte mich endlich seiner Mutter vorstellen.Nun gut, dachte ich, das ist immerhin ein Fortschritt. Schließlich war es gar nicht so einfach gewesen, seine Aufmerksamkeit zu erregen. Doch diese Stufe hatte ich inzwischen weit hinter mir gelassen. Ich hatte mittlerweile gelernt, dass er es hasste, zuetwas gedrängt zu werden. Er brauchte das Gefühl, selbst der Handelnde zu sein, und ich ließ ihm diese Illusion. Weitere Schritte würden folgen, da war ich mir sicher.„Hast du das Herz der Mutti gewonnen, frisst dir der Sohn aus der Hand.“ Alte Weisheit meiner Großmutter, die fünf Ehemänner erfolgreich und ohne großes Aufsehen überlebt hatte. Aus jeder Ehe war sie mit einem finanziellen Plus herausgekommen, und nie hatte es Fragen gegeben.So weit war ich noch nicht, mir fehlte immer noch der erste Mann. Ich war mir aber sicher, ihn endlich gefunden zu haben. „Schau dir deine zukünftige Schwiegermutter auch ganz genau an“, hatte sie mir eingeprägt. „Im ungünstigsten Fall übernimmt der Sohn ihre schlechtesten Eigenschaften.“So war ich gewarnt, als mich am nächsten Samstagnachmittag ein livrierter Chauffeur mit Dienstmütze in einer amerikanischen Limousine abholte. Ich hatte mich bescheiden gekleidet und ein Fläschchen Champagner bei Aldi erstanden, denn ich wusste von Philip, dass seine Mutter zur Teestunde gern ein Gläschen kippte. Normalerweise leistete ich mir keinen Champagner, aber eine Flasche vom Discounter würde mein Budget nicht übermäßig strapazieren.Ich wusste auch, dass Philip gut verdiente, schließlich war er ein gefragter Anwalt, der immer wieder die Schlagzeilen füllte und jedes Honorar fordern konnte. Trotzdem war ich nicht auf eine derart luxuriöse Umgebung vorbereitet. Ein Butler öffnete die Tür und führte mich in den Salon. Die Dame des Hauses saß in einem farblich abgestimmten Kleid auf ihrem mit Seide überzogenen Sofa. Ich gab mir Mühe, auf dem Weg zu ihr nicht über einen der Perser zu stolpern, die dekorativ in der Gegend herumlagen.Philip machte uns miteinander bekannt. Sie nickte mir zu und streifte mein Geschenk mit einem flüchtigen Blick.„Oskar“, der Butler verneigte sich leicht, „nehmen Sie es ihr ab.“ Dann wandte sie sich an Philip.„Die kannst du zu deiner nächsten Strandparty mitnehmen.Gegen Mitternacht merken die Leute sowieso nicht mehr, was sie trinken.“Danach musterte sie mich kritisch.„Mein Sohn hatte schon immer einen guten Geschmack“, stellte sie nach einer langen Minute fest und ich atmete auf. „Immerhin etwas, was er von mir angenommen hat.“ Ihre Mundwinkel verzogen sich leicht. „Mit einiger Anstrengung lässt sich aus Ihnen vielleicht doch noch etwas machen. Meine Liebe, warum tragen Sie keine Hüte? Eine kleine, aber feine Kreation mit einem angedeuteten Schleier könnte Ihre hohe Stirn wirkungsvoll kaschieren. Mein Liebling“, sie drehte sich zu Philip, „warum gehst du mit Fräulein Wichtel nicht zu Madame Rosalie?“Mein Lächeln gefror.„Mein Name ist Bechtel“, sagte ich lauter als beabsichtigt.

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