Das Problem Kind
Ein Beitrag zur Genealogie moderner Subjektivierung
Christoph T. Burmeister
Kind und Kindheit sind in unserer westlich-modernen Kultur etwas Selbstverständliches, als hätte es sie immer gegeben. Doch die Subjektfigur Kind und das Konzept Kindheit sind historisch kontingent. Christoph T. Burmeister entwickelt in seiner Arbeit die These, dass Kind und Kindheit konstituierend für moderne Formen der Vergesellschaftung sind und es mit Beginn der Frühen Neuzeit stets das Problem Kind ist, von dem entweder entscheidende Trans/Formationen ausgehen oder das gar im Zentrum dieser steht.
Die Studie, die einen zeitlichen Bogen vom frühen 15. bis ins 21. Jahrhundert spannt, zeigt auf, welche enorme Relevanz dem Problem Kind beim Hervorbringen und Funktionieren moderner Vergesellschaftungspraktiken zukommt, etwa bei Subjektivierungspraktiken als Individuum, bei solchen der modernen Familienzelle, des Sozialstaats und des weiten Feldes psychiatrisch-psychologisch-therapeutischer Techniken. Dazu baut sie das Konzept der Problematisierung, welches in bisherigen Operationalisierungen der Philosophie Michel Foucaults unterbelichtet bleibt, zu einer historisch-relationalen Soziologie des Problem Kind aus. Zudem deckt sie eine Leerstelle der inter/nationalen Rezeption dessen Werks auf: In sämtlichen von Foucault analysierten frühneuzeitlichen und modernen Prozessen des Pastorats, der Disziplinen und Biopolitiken ist es jeweils das bisher verkannte Problem Kind, das Ausgangspunkt beziehungsweise wesentliches Element der trans/formierenden Praktiken und Techniken hin zur Moderne ist.
Die historisch-empirischen Analysen des Problem Kind von der Frühen Neuzeit über Jean-Jacques Rousseaus Émile bis zur sozial-emotionalen Kompetenz der Spätmoderne zeigen, wie ausgehend von spezifischen Problematisierungen des Subjekts/Objekts als Kind Ordnungen der Generationen, der Geschlechter, der Klassen, der Zeiten und Räume hervorgebracht werden; wie im Konzept moderner Kindheit die Elemente Entwicklung, Erziehung, Eltern und Expert:innen sowie die Affekte Angst und Hoffnung eingelassen sind; und wie es ab den 1970er Jahren zu einer Zunahme von präventierenden und optimierenden Praktiken kommt. Damit leistet die Studie einen Beitrag zu Theorie und Analyse der Moderne, zur Subjektivierungs- und Foucault-Forschung sowie zum Zusammenhang von Affekt und Un/Sicherheiten.