Das Verbot genetischer Diskriminierung und das Recht auf Achtung der Individualität.
Gendiagnostik als Anlass für gleichheits- und persönlichkeitsrechtliche Erwägungen zum Umgang mit prognostischen und anderen statistischen Daten.
Ulrich Stockter
Welche gesellschaftlichen Auswirkungen hat die Vorstellung des genetischen Determinismus? Wie sollte ihnen rechtlich begegnet werden? Darf der Einzelne aufgrund seiner Gene benachteiligt werden, obwohl sie von ihm nicht beeinflussbar sind? Gibt es eine Pflicht zum genkonformen Verhalten? Inwieweit sind genetische Informationen mit prädiktiven Informationen, etwa aufgrund einer HIV-Infektion, vergleichbar? Ulrich Stockter geht diesen in der Diskussion um die genetische Diskriminierung aufgeworfenen Fragestellungen in ihrer verfassungsrechtlichen Dimension nach und erarbeitet mögliche Lösungen. Er zeigt, dass eine selektive Problembehandlung hier den Blick auf konsistente Lösungen verstellt und es notwendig ist, sich von den genspezifischen Ausgangspunkten der Diskussion zu lösen.
Als besonders tragfähig stellt es sich heraus, die Behandlung des Einzelnen nach seinen genetischen Veranlagungen als Typisierung zu begreifen. Dies ermöglicht den Zugriff auf eine gleichheitsrechtliche Dogmatik, die in ihrer Grundstruktur seit fast 100 Jahren erörtert wird. Allerdings ergibt sich die besondere Eingriffsintensität nicht aus dem Gesichtspunkt der Ungleichbehandlung, sondern aus dem Umstand, dass der Einzelne anhand des genetischen Indikators als berechenbar betrachtet wird. Um diesen Eingriffsgehalt personenbezogener Typisierungen adäquat berücksichtigen zu können, wird die gleichheitsrechtliche Typisierungsdogmatik in die des Persönlichkeitsrechts (Recht auf Achtung der Individualität) transformiert.