Dein Glanz nahm mir die Worte
Autobiographie, Poeme, Das goldene Volk
Jörg Schulte, Saul Tschernichowski
„Du willst wissen, was ich schreibe, warum ich nicht schreibe usw.? […] Ich schreibe, weil ich lebe, weil ich in diesem Moment das Lied des Lebens fühle. Und wenn Du eines meiner Lieder findest, das an einem bestimmten Ort und zu einer bestimmten Stunde geschrieben und unterzeichnet ist – so wisse: Zu jener Stunde und an jenem Ort habe ich das Lied des Lebens gespürt. Das Leben selbst ist, in jener Form, in der es sich täglich vor uns manifestiert, bis zum Ersticken voll von Schmutz und Makel. Aber der Kern des Lebens, sein Wesen, das Geheimnis des Lebens ist ein Lied, das Lied aller Lieder, das erhabenste Lied, das es gibt und das es geben kann. Und es ist nicht einfach ein Lied, sondern ein Siegeslied. Ein Lied des Sieges der Materie über Tohu und Bohu.“ [aus einem Brief an Joseph Klausner]
Der zweite Band umfasst, neben der Autobiographie und den autobiographischen Poemen, Tschernichowskys Spätwerk „Das goldene Volk“. Inspiriert von Maurice Maeterlincks „La vie des abeilles“ erzählt das Epos in über 2200 Hexametern den Auszug des Bienenschwarms aus seinem Stock, verflochten mit Episoden aus der Kindheit des Dichters und dem Bau der ersten Kibbuzim. Allegorisch steht derAuszug für die Wanderung des jüdischenVolks nach Palästina; er ist der neue Gründungsmythos des hebräischen Volks.
Wie Isaak Babel Odessa und Bruno Schulz Drohobycz in die Karte der europäischen Literatur eingetragen haben, zieht Tschernichowsky ihre Grenzen um die Steppen Tauriens. Im Rhythmus der Hexameter zieht sich das Herz des Lesers zusammen ob der Sehnsucht nach einer mythischen Landschaft, geschaffen aus der epischen Weite des Homer und dem hebräischen Mythos von einem Judentum der Steppe, das anders war als jenes der Schtetl und des sündigen Odessa.