Der versehrte Körper
Revisionen des klassizistischen Schönheitsideals
Irmela M Krüger-Fürhoff
Wer den Klassizismus vor allem mit Schlagworten wie ‚Harmonie‘ und ’schöne Ganzheit‘ verbindet, der übersieht, daß das Schönheitsideal dieser Epoche vom Phantasma der Verletzung durchdrungen ist. Irmela Marei Krüger-Fürhoff revidiert in ihrer Studie das klassizistische Schönheitsideal, indem sie nachweist, daß der versehrte Körper zugleich als ausgeschlossenes und konstitutives Moment von Literatur und Ästhetik um 1800 verstanden werden muß. Mit dem Begriff der Versehrung greift sie auf ein historisches Wortfeld zurück, das im späten 18. Jahrhundert das Spektrum von der leichten Hautritzung bis zur tödlichen Verwundung umfaßt, aber auch die Zerstörung sexueller Integrität bezeichnet.
Im Mittelpunkt der Studie steht die Relektüre kanonisierter Texte, in denen versehrte Körper zur Sprache kommen – von Winckelmann, Lessing, Herder und Goethe bis zu Moritz, Kleist, Günderrode und Arnim. Um die Verbindung zwischen einer Poetik der Verwundung und einer Geschichte gewaltsam geöffneter Körper zu zeigen, werden Literatur und Kunsttheorie mit anderen Diskursen des späten 18. und frühen 19. Jahrhunderts konfrontiert: mit Schlachtberichten der Befreiungskriege, gerichtsmedizinischen Untersuchungen und populären Reiseführern sowie mit antiken Skulpturen, zeitgenössischen Radierungen, Wachstableaus und anatomischen Modellen. Auf diese Weise werden literaturwissenschaftliche und kulturwissenschaftliche Perspektiven zu einem luziden Beitrag zu aktuellen Debatten in Germanistik, Ästhetiktheorie, Körpergeschichte und Gender Studies verknüpft. Es zeigt sich, daß der ausgegrenzte versehrte Körper zur zentralen Herausforderung, ja zum übersehenen oder verdrängten Ursprung der klassizistischen Ganzheitsästhetik wird.
Die Autorin: Irmela Marei Krüger-Fürhoff, geb. 1965; studierte Allgemeinen und Vergleichenden Literaturwissenschaft, Germanistik und Betriebswirtschaftslehre an der Freien Universität Berlin, der amerikanischen Cornell University und der Humboldt Universität zu Berlin. 1996-1998 Wissenschaftliche Mitarbeiterin an der Freien Universität, seit 1998 Lehrbeauftragte in Berlin und Hamburg, seit 2000 Postdoktorandin am Graduiertenkolleg „Codierung von Gewalt im medialen Wandel“ der Humboldt-Universität. Mitautorin von „Literarische Intellektualität in der Mediengesellschaft. Empirische Vergewisserungen über Veränderungen kultureller Praktiken“ (2000), Mitherausgeberin von „Über Grenzen. Limitation und Transgression in Literatur und Ästhetik“ (1999).
Prressestimme: „Die Autorin, Lehrbeauftragte der Berliner Humboldt-Universität, revidiert das klassizistische Schönheitsideal, indem sie nachweist, dass der versehrte Männerkörper in seiner ästhetischen Provokation Kunst und Literatur prägte. Von Goyas Torso-Rezeption bis zu Goethes Schönheit unverhüllter Glieder. Ein Buch für Kunstfreunde.“
(Adam)