Die Entwicklung des Richtervorbehalts im Verhaftungsrecht
von den Anfängen bis zur Paulskirchenverfassung.
Thomas Ollinger
Die Arbeit beschreibt die historische Entwicklung des Richtervorbehalts im Verhaftungsrecht. Unter einem Richtervorbehalt versteht man das Erfordernis obligatorischer vorgängiger richterlicher Entscheidung über die Zulässigkeit von Verhaftungen. Es wird versucht nachzuweisen, daß die Wurzeln des Richtervorbehalts nicht in der englischen Habeas-Corpus-Akte von 1679 zu suchen sind, sondern viel weiter zurückreichen.
Im Mittelalter gab es vor allem in flandrischen, zunächst aber auch in deutschen und französischen Stadtrechten Garantien gegen willkürliche Verhaftungen, die einem Richtervorbehalt entsprachen. Während diese Rechte in Frankreich und Deutschland wieder verschwanden, konnten sie sich in Flandern weitgehend erhalten.
Seit Beginn des 17. Jahrhunderts verstärkte sich in England der Konflikt zwischen Parlament und Krone, als dessen wichtigstes Zwischenergebnis die Habeas-Corpus-Akte von 1679 gelten kann. Sie gibt jedem Verhafteten das Recht, ein Gericht anzurufen. Es handelt sich aber dabei nicht um einen Richtervorbehalt, da die richterliche Entscheidung weder obligatorisch noch vorgängig ist. Im 18. Jahrhundert entfaltete sich dann der Gedanke der Gewaltenteilung, in dessen Konsequenz die Ablehnung einer Verhaftungsbefugnis für den Herrscher und die Exekutive lag.
Trotz vielfacher Forderungen fand der Richtervorbehalt keine Aufnahme in die französische Menschenrechtserklärung. In den Niederlanden und in Belgien hingegen kam es seit Anfang des 19. Jahrhunderts zu weitreichenden verfassungsrechtlichen Absicherungen des Richtervorbehalts. die auch auf die Anlehnung an eigene Rechtstraditionen zurückzuführen sind.
Wie in Frankreich aber in weit geringerem Ausmaß als dort, hatte es im 18. Jahrhundert auch in Deutschland Verhaftungen auf Anordnung des Herrschers gegeben. Kritik hiergegen kam nur vereinzelt und relativ spät auf: auch die Reichsjustiz konnte trotz bemerkenswerter Ansätze keine dauerhafte Abhilfe schaffen. Verhaftungsgarantien, die die deutschen Verfassungen und Prozeßordnungen seit 1815 boten, wurden durch Polizei- und Exekutivpraxis weitgehend unterminiert. Mit der Verabschiedung der Paulskirchenverfassung kam es schließlich zur Aufnahme des Richtervorbehalts bei Verhaftungen in das deutsche Verfassungsrecht.