Flucht und Revolte
Eine Mediengeschichte der Fürsorgeerziehung (1876–1932)
Philipp Hubmann
»Verwahrloste« Jugendliche, »totale« Institutionen und Massenmedien – eine Studie über literarische und journalistische Auseinandersetzungen mit dem Heimwesen im Deutschen Kaiserreich und der Weimarer Republik.
»Die Formen von Widerstand, die in den Heimen praktiziert werden, entwickeln sich immer nur spontan, planlos, unorganisiert, als Aufstand, Widerstand, Rabatz, als Bambule.« Ulrike Meinhof hat den Heimkampagnen der 68er-Bewegung eine bündige Diagnose gestellt, indem sie die Rebellionen in den sogenannten Fürsorgeerziehungsanstalten als Ereignisse charakterisiert hat, die zumeist wirkungslos verpuffen. Obwohl die Autorin damit die in den Resozialisierungseinrichtungen vorherrschende Machtasymmetrie zwischen Erziehern und Zöglingen auf den Punkt bringt, übergeht ihre Kritik den Umstand, dass es in Deutschland bereits lange vor den 1970er Jahren zu einer regelrechten Welle von Zöglingsrevolten gekommen ist. Wie Philipp Hubmann in seiner Untersuchung zeigen kann, sind diese Krawalle in der Spätphase der Weimarer Republik nicht im Stadium partikularer Widerstandshandlungen verblieben, sondern in der bürgerlichen Öffentlichkeit auf große Resonanz gestoßen – insbesondere vor Gericht, in Parlamenten, Zeitungen sowie im Theater.
Hubmanns Studie zeichnet erstmals die konfliktreiche Etablierung der Fürsorgeerziehung im Deutschen Kaiserreich und der Weimarer Republik aus einer mediengeschichtlichen Perspektive nach. Im Zentrum steht dabei sowohl die Frage nach dem öffentlich verfügbaren Wissen über das Heimwesen wie die nach den kritischen Potenzialen von Literatur, Journalismus und Film hinsichtlich der Sichtbarmachung vorhandener Missstände.