Gedächtnis als Gefängnis
Metahistorische Reflexion in zeitgenösssischen irischen Dramen
Jürgen Wehrmann
„Seit den 1970er Jahren ist in Irland eine Konjunktur von Dramen wahrzunehmen, die Erinnerung und Gedächtnis mit Gefangen- und Eingeschlossensein verknüpfen und die zugleich von Motiven der Flüchtigkeit, Auflösung und Vergänglichkeit durchzogen sind. Die vorliegende Arbeit deutet diese Konjunktur als Moment einer komplexen Auseinandersetzung von Drama und Theater mit einer tief greifenden Krise des irischen nationalen Gedächtnisses, die vor allem auf die Troubles im Norden, aber auch auf Modernisierungs- und Globalisierungserfahrungen im Süden zurückzuführen ist. Ihre eigentliche Herausforderung findet die Thematisierung und Problematisierung irischer Geschichtskultur durch zeitgenössische Dramen darin, dass die irische Nation seit der Irish Renaissance immer wieder als performance imaginiert worden ist und das Theater bei der Inszenierung des heroischen Selbstopfers für die Nation eine wichtige Rolle gespielt hat.
Das irische Beispiel legt so in besonderer Weise nahe, die Unterschiede zwischen metahistorischer Reflexion im Drama einerseits und historiographischer Metafiktion in der Erzählprosa andererseits zu betonen. Gerade durch ihren intermedialen Charakter als zur Aufführung bestimmte Texte erweisen sich Dramen als vorzüglich geeignet, Spannungen zwischen individueller und kollektiver Erinnerung, zwischen Interaktion und Medialität, zwischen Mythos, Fiktion und Geschichte sowie zwischen Theater, Politik und Wissenschaft vorzuführen und zu reflektieren.
Vor dem Hintergrund von geschichtskulturellen Konstellationen, die bis zur Young-Ireland-Bewegung Mitte des 19. Jahrhunderts zurückverfolgt werden, konzentriert sich die Arbeit auf die Analyse von ausgewählten Dramen Brian Friels, Stewart Parkers und Sebastian Barrys – drei Autoren, für deren Werk metahistorische Reflexion jeweils zentral ist und die zugleich verschiedene Generationen, Gruppen und theaterliterarische Programme repräsentieren.“