Gellert und die empfindsame Aufklärung
Vermittlungs-, Austausch- und Rezeptionsprozesse in Wissenschaft, Kunst und Kultur
Dorothea Böck, Mark-Georg Dehrmann, Jutta Heinz, Uwe Hentschel, Katrin Henzel, Katrin Löffler, Michael Mühlenhort, Claudia Neumann, Kerstin E. Reimann, Nikola Rossbach, Michael Schmidt, Sibylle Schönborn, Sikander Singh, Dietmar Till, Vera Viehöver, Anne-Kathrin Winkler, Bernd Witte
Die wissenschaftliche Forschung zu Werk und Wirkung Christian Fürchtegott Gellerts (17151769) ist, zieht man einen Vergleich zu anderen herausragenden Gestalten des 18. Jahrhunderts, erst mit einiger Verspätung in Gang gekommen. Allzu lange wirkte das Verdikt der jüngeren Generation der Stürmer und Dränger fort, die Gellerts Bedeutung als Tugendlehrer zwar durchaus erkannten, ihm jedoch als Dichter jegliches „Genie“ rundheraus absprachen. Erst die Germanistik der siebziger und achtziger Jahre, die die Werturteile der früheren Forschung einer generellen Revision unterzog, rückte die bis dahin nicht erkannten innovativen Aspekte des Gellertschen Werkes ins Licht.
Heute, nach der medien- und kulturwissenschaftlichen Wende der Geisteswissenschaften, zeigt sich, dass Gellerts vielschichtiges Werk noch immer von großer Aktualität ist. Insbesondere für eine epistemologisch orientierte Forschung hält es hochinteressantes Material bereit, stand doch Gellert in der Mitte des 18. Jahrhunderts als Autor, Übersetzer und Hochschullehrer im Zentrum vielgestaltiger Austauschprozesse zwischen den Künsten und Wissenschaften. Als Briefpartner in zahlreichen Korrespondenzen, durch seine Tätigkeit als Übersetzer und Vermittler ausländischer Literatur und damit wirkungsbewusster Mitgestalter des literarischen Kanons wie auch als außerordentlicher Professor für Philosophie an der renommierten Leipziger Universität war Gellert eine Institution und zugleich eine Art Kreuzung im Diskursnetz der bürgerlichen Aufklärung. An seinem Beispiel wird augenfällig, dass die sogenannte „empfindsame“ Kultur sich als solche in komplexen Austauschprozessen zwischen den verschiedenen Künsten, aber auch zwischen Wissenschaft und Kunst allererst konstituierte.
Die Beiträge dieses Bandes beleuchten aus verschiedenen Perspektiven die Rolle Gellerts als treibende Kraft im Kultur- und Wissenschaftsbetrieb der empfindsamen Aufklärung und fokussieren ausgehend von seiner Person Prozesse des Austauschs zwischen den Wissenschaften und Künsten um die Jahrhundertmitte. Im Einzelnen behandeln sie u.a. Gellerts Konzept einer empfindsamen Wissenschaft, seinen Beitrag zur Transformation der Rhetorik, seine theoretische und literarische Auseinandersetzung mit der zeitgenössischen Moralphilosophie, seine Position im anthropologischen Diskurs seiner Zeit sowie auch seine Stellungnahmen in der politischen Debatte anlässlich des Siebenjährigen Krieges. Darüber hinaus beleuchten sie Prozesse der Rezeption, sowohl zu Lebzeiten als auch im folgenden Jahrhundert. Zudem wird die Spur der Gellertschen Texte in verschiedenen Medien aufgezeigt, so etwa im Adelungschen Wörterbuch, der Geigenlehre Leopold Mozarts und in Stammbüchern des 18. Jahrhunderts.