Hans-Georg Kemper: Deutsche Lyrik der frühen Neuzeit / Frühaufklärung
Hans-Georg Kemper
Die immer noch zu wenig betrachtete erste Hälfte des 18. Jahrhunderts wird in der deutschen Kultur- und Literaturgeschichte maßgeblich von Pietismus und Frühaufklärung bestimmt. Ihrer Darstellung ist jeweils ein Teilband dieser Lyrik-Geschichte gewidmet. Im Kampf beider Reformbewegungen um Mündigkeit und Selbstbestimmung »vorzüglich in Religionssachen« (Kant) spielt die Lyrik eine bedeutende Rolle. Im Pietismus (Bd. 5/I) ist die geistliche Poesie sogar die einzige, extensiv dichterisch gepflegte Gattung und dient als Propagandainstrument und Medium der mystisch-häretisch inspirierten pietistischen Frömmigkeit. Die Frühaufklärung (Bd. 5/II) didaktisiert die lyrischen Gattungen, um durch sie zentrale Ideen des aus dem »Buch der Natur« abgeleiteten Systems natürlich-vernünftiger Welt-Deutung und Gesellschaftsregulierung an ein großes Laien-Publikum zu vermitteln. Die wichtigsten Lyriker des Zeitraums entwickeln die Poesie in Adaption und Kritik der new science zum eigenständigen Organ einer – zum Teil pantheistischen – Weltanschauung und einer liberaleren bürgerlichen Moral. So widerlegt gerade die deutsche Lyrik der Epoche eindrucksvoll das lang gehegte Vorurteil, die Aufklärung sei ein ‚Zeitalter ohne Poesie‘.