Intime Beziehungen
Ästhetik und Theorien der Sexualität um 1968
Christine Weder
Um ›1968‹ unterhalten Sexualität und Kunst bzw. Literatur ein auffallend inniges gegenseitiges Verhältnis: Auf der einen Seite integrieren Sexualtheorien und Aufklärungsbücher regelmäßig Kunstprogramme und Literaturbezüge in ihre Entwürfe, weil sie den künstlerischen Medien entscheidenden Einfluss auf die menschlichen Lebens- und Denkformen zutrauen. Auf der anderen Seite sind umgekehrt in den kunst- und literaturtheoretischen Beiträgen jener Zeit vielfältige sexuelle Obsessionen auszumachen – auch jenseits der ‚üblichen Verdächtigen‘. So zeigt sich etwa in den ästhetischen Theorien von Adorno, Barthes, Leslie Fiedler, Susan Sontag oder Ludwig Marcuse eine markante Tendenz zur Erotisierung.
Diesem Wechselverhältnis entsprechend, bedeutet es einen doppelten Gewinn, die beiden Felder in Beziehung zueinander zu betrachten: Zum einen leistet die Fokussierung der Kunst- und Literaturbezüge in den Theorien der Sexualität einen neuen Beitrag zur Sexualtheoriegeschichte. Zum anderen eröffnet der Nachweis von Erotisierungstendenzen in der ästhetischen Theorie und Wissenschaft erstmals einen solchen historisierend-kontextualisierenden Blick auf diese Sphäre.
Christine Weder bezieht kanonische ebenso wie unbekanntere Schriften ein und berücksichtigt auch französische und englische bzw. amerikanische Texte. Sie plädiert dafür, dass neben der bisher immer wieder akzentuierten Politisierung der Ästhetik um ›1968‹ der Fokus einer Sexualisierung mindestens so fruchtbar ist.