Kritische Theorie und Postmoderne
Frank Buhren
Die zweifelhafte Wahrnehmung, dass der postmoderne Kapitalismus einem Telos der zwanglosen Verständigung oder einem Zustand der uneingeschränkten Wahlmöglichkeiten und der grenzenlosen subjektiven Selbstverwirklichung entgegeneilt, ist nichts als die Erscheinungsform ihres genauen Gegenteils, einer postpolitischen Gesellschaft ohne echte Wahlmöglichkeiten, in der die Subjektivität selbst längst anämisch und zu einem bloßen Simulationsmodell verkommen ist. Die Frage lautet deshalb nicht, welche Bedeutung der kritischen Theorie der Gesellschaft aus der Perspektive der Postmoderne als der angeblich kritischen Theorie der Gegenwart noch zukommt, sondern genau andersherum: Wie erscheint die gegenwärtige Gesellschaft und mit ihr die Postmoderne als ihre hegemoniale Ideologie im Licht der kritischen Theorie? Denn weit davon entfernt, eine kritische Analyse der Gegenwartsgesellschaft zu leisten, macht sich die Postmoderne durch die radikale Verwerfung der angeblich „repressiven“ Allgemeinbegriffe und Totalitarismen („Es gibt nicht die Logik des Kapitals“, „es gibt nicht die Gesellschaft“) blind für die immanente Entwicklungsdynamik des Kapitalismus, die der Neoliberalismus vollstreckt, und phantasiert stattdessen lieber von den Kulturen und bunten Minderheiten, die der globale Kapitalismus durch seine beispiellose Tendenz zur Homogenisierung längst zur bloßen Folklore in Plastikkulissen oder spleenigen Marotten in den Freakshows der Kulturindustrie depraviert hat.