Lebendige Seelsorge 3/2023 von Leimgruber,  Ute, Spielberg,  Bernhard

Lebendige Seelsorge 3/2023

Spiritueller Missbrauch

Viele Betroffene spirituellen Missbrauchs berichten davon, dass die Täter*innen „den unantastbaren Raum“ (Sophia Weixler) in ihnen betreten und zerstören. Spiritueller Missbrauch kann sexuellen Missbrauch vorbereiten, flankieren, inszenieren und legitimieren. Spiritueller Missbrauch kann aber auch für sich stehen und stellt ein eigenes Vergehen dar. Er findet in Beichte, Seelsorge und geistlicher Begleitung, in Orden und Neuen Geistlichen Gemeinschaften statt. Die Folgen für die Betroffenen sind oft katastrophal.
Die fundamentale Bedeutung eines personenbezogenen Verständnisses von Missbrauch erläutert gleich zu Beginn des Heftes Doris Reisinger: Analog zum Begriff des sexuellen Missbrauchs, bei dem das Recht auf sexuelle Selbstbestimmung verletzt wird, lässt sich spiritueller Missbrauch als Verletzung des spirituellen Selbstbestimmungsrechts oder „als ein gewaltsames Eindringen in die spirituelle Intimsphäre einer Person“ (Doris Reisinger) definieren. Die Frage nach konfessionellen und institutionellen Risikofaktoren von spirituellem Missbrauch in der evangelischen Kirche diskutieren im Anschluss daran Rainer Kluck und Helge Staff. Wie gefährlich der Missbrauch des Gewissens sein kann, und wie wichtig es ist, diesen zu erkennen, macht Samuel Fernández deutlich. Barbara Haslbeck gibt wichtige Einblicke in Fortbildungen zum Thema spiritueller Missbrauch. Im Interview
plädiert Bischof Heinrich Timmerevers für eine umfassende Förderung spiritueller Selbstbestimmung. Im Praxisteil analysiert Stephanie Butenkemper die manipulativen Strategien und gefährlichen Strukturen toxischer Geistlicher
Gemeinschaften. Peter Hundertmark richtet den Blick auf Seelsorge im Umgang mit Missbrauchsbetroffenen und macht klar, dass die Pathologisierung der Opfer und eine Täter-Opfer-Umkehr durch professionelles Verhalten zu verhindern sind. Regina Heyder beleuchtet ‚Berufungsmissbrauch‘ als manipulativen Eingriff in eine besonders vulnerable Lebensphase und Judith Könemann lenkt den Fokus auf Geistliche Gemeinschaften als eigenständiges Forschungsfeld von spirituellem Missbrauch. Wie alltäglich und ‚normal‘ Systeme und Strukturen von Missbrauch in der katholischen
Kirche sind, wird im Beitrag von Julia Knop deutlich. Mit dem Text von Klaus Mertes SJ und der Perspektive der Betroffenen endet der thematische Schwerpunkt dieses Heftes. Wir hoffen, damit einen Beitrag zu einem tieferen Verständnis des Phänomens spiritueller Missbrauch als auch zur Auseinandersetzung mit umfassenden Präventions- und Interventionsmaßnahmen in den christlichen Kirchen zu leisten.
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