meine Faust
Gedichte
Sibylla Vričić Hausmann
Für nichts in der Welt gäbe Sappho ihr schönes Kind her. Nicht für ganz Lydien, nicht für Lesbos, die Insel. Seine Gestalt gleicht goldenen Blumen. Wer könnte es wagen, ihre Gedichte in die Waagschale zu werfen, nur um herauszufinden, was ihr wichtiger ist? Ich nicht. Niemand würde das tun, niemand würde denken, dass ein Mensch, der Gedichte macht, nicht lieben darf, nicht haben darf, was sie oder er liebt. Außer vielleicht Hölderlin. Oder Rilke. Oder … Intransitive Liebe ist eine Illusion wie Hygiene. Grenzen werden überschritten, befahren, bebetet (D. Kraus), auch die Grenzen zum Rückzug, zum Eigenen Zimmer, in dem etwas aufgeht bei geschlossener Tür. (Innere Quellen, Buchdeckel, Hosenknöpfe, Rockknöpfe …) Bezuglos zu sein, das stünde mir als Menschenartiger nicht gut zu Gesicht. Doch nichts spricht dagegen, danach zu streben, die eigene Gesellschaft zu verfeinern. Nichts spricht gegen unreine Reime und schöne Kinder, die gewaschen werden müssen. In sich kräuselnden Schichten einer Landschaft zwischen Schlaf und Nichtschlaf, fiction und nonfiction wachsen meine Kreise an. Wachsen um ein Kissen, das ich einmal erhielt, zu träumen und hinein zu weinen. Das Ersatzobjekt – es genügt nicht.
‒ Sibylla Vričić Hausmann