Mogelperspektive
Das poetische Werk
Marion Eggert, Matthias Göritz, Hanju Yang, Yisang
Den meisten mitteleuropäischen Lesern ist nicht bewusst, dass sich die Moderne nicht nur auf den Schauplätzen der europäischen (und nordamerikanischen) kulturellen Inszenierungen ereignete, sondern auch, z.B., in Ostasien. In Korea etwa war der Dichter Yisang in den 20er und 30er Jahren des 20. Jhds. eine solche Figur des kulturellen Umbruchs, deren Bedeutung mit den Jahren nur noch zunahm und beinahe zu mythischer Größe anwuchs.
Der Autor, der seinen bürgerlichen Namen gemeinsam mit seiner bürgerlichen Existenz ablegte und mit dem Pseudonym Yisang zeichnete, starb mit 27 Jahren nach einem unsteten Leben in der Hauptstadt der Kolonialmacht Japan, das damals Korea besetzt hielt, an Tuberkulose, knapp nach seiner Verhaftung wegen ‚ungesunden Gedankenguts‘ (nämlich antikolonialistischer Gesinnung). Heute zählen seine Werke, die er in wenigen Jahren schrieb, zu den Grenzsteinen der Moderne in Korea. Dieser Band stellt den Dichter zum ersten Mal auf deutsch vor.
Yisang steht mit seinem gesamten Werk für eine existenzielle Unsicherheit, für eine kontinuierliche Selbst-Erfindung. Krankheit und Spiegel sind häufig wiederkehrende Metaphern. Sein dichterischer Umgang mit unterschiedlichen Rollen ist kein bloßes Spiel wie bei seinen surrealistischen Zeitgenossen, sondern die riskante Verwandlung eines umrissenen Subjekts in eine Folge von Rätseln. So üben auch seine Gedichte (die meisten sind Prosa-Gedichte) einen dunklen, schwer erklärbaren Reiz aus, dessen Kern sehr oft in ihrer Körperlichkeit liegt.