Oversexed and underfucked
Über die gesellschaftliche Konstruktion der Lust
Iris Osswald-Rinner
Oversexed and underfucked! Diese sicherlich pointiert formulierte und auch provozierende Diagnose über den gegenwärtigen Zustand des ‚sexuellen Begehrens’ unterstellt, dass die Lust der Geschlechter aufeinander heute weitgehend abhanden gekommen sei und dass die vermeintliche, ganz wesentlich durch die Medien getragene, Übersexualisierung daran einen erheblichen Anteil habe. Und sie impliziert, dass ‚wir’ alle wissen (wollen), was guter Sex ist. Entlang dieser Leitnahmen geht die vorliegende Arbeit der gesellschaftlichen Konstruktion der Lust auf den Grund. Sie analysiert die Ideen einer ‚gelingenden Sexualität’ aus der Sicht der Wissenschaft ebenso wie das Rezeptwissen erfolgreicher Sexualratgeber von 1950 bis heute. Die aus diesen Quellen ‚rekonstruierten’ sexuellen Skripte (Dornröschen-Skript, Ken&Barbie-Skript, Adam&Eva-Skript und Ich&Ich-Skript) weisen – insgesamt betrachtet – eine typische Entwicklungslinie auf, die von der Darstellung des Geschlechtsverkehrs als Drama im Dornröschen-Skript bis hin zur als Porncast inszenierten Selbstbefriedigung im Ich&Ich-Skript führt. Der Begriff ‚underfucked’ zeigt somit nicht einen Mangel an Geschlechtsverkehr an, sondern beschreibt vielmehr seinen fortschreitenden ‚sozialen Tod’.