Rechtspluralismus in den Northern Areas / Pakistan
With an English Summary
Sabine Lentz, Irmtraud Stellrecht
Die vorliegende Studie untersucht Recht und Rechtssysteme in den Northern Areas. Die Northern Areas liegen zwischen Pakistan im Süden, Afghanistan im Westen, China im Norden und Indien im Osten. Historisch gehörten sie zum Fürstenstaat von Jammu und Kashmir, einem Klientelstaat des Britischen Empire. Heute werden sie von Pakistan verwaltet.
Nach einer Einführung in die Forschungsproblematik folgt im zweiten Kapitel eine kurze ethnographische Beschreibung des Gebietes, wobei neben Verwaltung, Geographie und Infrastruktur auch die heterogenen Bevölkerungsteile, Identitäten, Wirtschaft und Religion behandelt werden. Kapitel drei und vier vermitteln die theoretische Grundlage und die angewandten Untersuchungsmethoden für die Diskussion des Themas Recht und Rechtspluralismus in dem beschriebenen Umfeld.
Kapitel fünf bis sieben unternehmen die historische Genese der gegenwärtigen Situation und die prekäre konstitutionelle Stellung der Bewohner der Northern Areas, da die pakistanische Verfassung von 1973 für diese Gebiete keine Gültigkeit hat. Der Grund für diesen außergewöhnlichen Zustand liegt in dem System der kolonialen Verwaltung begründet, welches niemals grundlegend geändert wurde. Kapitel acht und neun befassen sich mit der Entwicklung des indigenen und islamischen Rechts. Diese wurde ermöglicht durch das Desinteresse der verschiedenen Zentralverwaltungen an einer grundlegenden Reform des Rechtssystems. Indigenes Recht wurde stark durch lokale Gegebenheiten und die Auseinandersetzung mit dem islamischen Recht beeinflußt, welches einen weiteren nicht zu unterschätzenden Faktor in den Northern Areas darstellt. Die folgenden sechs Kapitel beleuchten den Einfluß des Rechtspluralismus in verschiedenen Rechtsbereichen, so z.B. im Strafrecht, Familien- oder Eigentumsrecht, wie es in den Northern Areas angewendet wird. Als Ergebnis wird festgehalten, daß das Rechtssystem der Northern Areas offensichtlich stärker von indigenem und islamischem Recht in seinen lokalen Ausprägungen beeinflusst ist als von den Rechtsnormen des pakistanischen Rechtssystems.
REZENSION
„Sabine Lentz widmet sich […] diachron und auf unterschiedlichen Betrachtungsebenen einem Themenkomplex, der in zahlreichen regionalen Studien häufig ausgeblendet wird bzw. zu kurz kommt. Der Rechtsrahmen, in dem unterschiedliche Rechtssysteme zur Anwendung gelangen, bietet die Bühne, auf der menschliche Handlungen in Beziehung dazu behandelt werden können. Somit eröffnet diese Arbeit über den konkreten Bezugsrahmen hinaus einen Einblick in komplexe Sachverhalte, die auch andernorts einer Analyse harren, ist eine wahre Fundgrube für Hinweise aus der pakistanischen Rechtspraxis und bietet eine wertvolle Ergänzung der bereits publizierten Sammelbände und Monographien aus dem DFG-Schwerpunktprogramm ‚Kulturraum Karakorum’.”
(Hermann Kreutzmann in „Die Erde“ 133/2, 2002, 224)