Untersuchungen zur Darstellung von Statuen auf Athener Silbermünzen des Neuen Stils
Horst Herzog
Noch vor der Mitte des 2. Jhs. v. Chr. beginnt in Athen eine umfangreiche, sich über ein Jahrhundert fortsetzende Prägung von Silbermünzen. In der Numismatik werden sie als Münzen des Neuen Stils bezeichnet. Diese, besonders aber die Tetradrachmen, unterscheiden sich deutlich von den vorhergehenden Prägungen Athens. So ist unter anderem bis auf wenige Ausnahmen auf dem Revers der Tetradrachmen, und meist auch auf dem der Drachmen, im Feld links oder rechts neben der Eule ein Beizeichen abgebildet, das entweder einen symbolischen Gegenstand, Tiere oder weibliche und männliche Figuren darstellt. Für die Wahl dieses Symbols war der auf der Münze inschriftlich genannte erste Münzmagistrat verantwortlich. In dieser Arbeit wird untersucht, inwieweit die Athener Stempelschneider für die Beizeichen, die weibliche und männliche Figuren darstellen, rundplastische Bildwerke als Vorlage benutzten. Von den untersuchten 47 verschiedenen Münzsymbolen lassen sich für 9 Beizeichen keine entsprechenden bzw. motivisch verwandten rundplastischen Werke nachweisen. Allerdings handelt es sich bei diesen Symbolen auch nicht um Erfindungen oder Neuschöpfungen der Athener Stempelschneider, sondern um Bildtypen, die der Vasenmalerei, den Münzen anderer Städte oder der Reliefkunst entnommen wurden. Die enge motivische Verwandtschaft zu rundplastischen Bildwerken macht es bei 26 Symbolen wahrscheinlich, dass für diese Münzbeizeichen vollplastische Vorlagen verwendet wurden. Sicher auf statuarische Vorbilder können 12 Beizeichen zurückgeführt werden. Dazu gehören so berühmte Bildwerke wie die Athena Parthenos des Phidias, die Gold-Elfenbeinstatue des Dionysos von Alkamenes sowie dessen Hekate-Epipyrgidia, die Tyrannenmördergruppe von Kritios und Nesiotes, die Statuen des Apollon Lykeios, des Kasseler Apollon und des Omphalos Apollon, das Kultbild des Apollon Delios sowie nicht näher zu bestimmende Standbilder vom Typus einer spätklassischen-frühhellenistischen Ehrenstatue, einer Mantelherme des Hermes und Statuen der Artemis und des Asklepios/Amphiaraos. Bereits die hier angeführten Vorbilder für die Münzsymbole zeigen deutlich, dass die Athener Stempelschneider bzw. ihre Auftraggeber, die ersten Münzmagistrate, für die Münzsymbole auf vollplastische Vorlagen der archaischen, der klassischen und der hellenistischen Zeit zurückgegriffen haben. Es fällt auf, dass – sicher nachweisbar – nur zwei Kultbilder im klassischen Sinn, d.h. in einem Tempel kultisch verehrte Standbilder, als Münzsymbol Verwendung gefunden haben. Ebenso ist bemerkenswert, dass Athena, die Schutzgöttin Athens, nur einmal als Symbol erscheint. Neben Götter- und Heroenbildern werden aber auch Statuen von Sterblichen – die Ehrenstatue eines unbekannten Mannes und die Gruppe der Tyrannenmörder – als Beizeichen abgebildet.