Vom »Geschäft des Menschen mit sich selbst«
Begriff, Funktion und Rolle des Gewissens in der Moralphilosophie Immanuel Kants
Jörg Alisch
In Kants Moralbegründung hatte das handelnde Individuum noch keine Rolle gespielt. Das ändert sich jedoch in seiner Analyse des Gewissens, bei der Kant einen Perspektivwechsel vom noumenalen zum empirischen Aspekt vornimmt: Wo das moralische Gesetz dem Akteur sagt, was zu tun ist, sagt ihm das Gewissen, ob er auch wirklich tut, was der kategorische Imperativ bestimmt. Dazu bedient sich Kant der Metapher des »inneren Gerichtshofes«, bei dem sich der Akteur aufteilt in handelnde Person und von der Vernunft vorgelegtes Gesetz. Dadurch wird zugleich auch die – noch einmal reflektierte – Selbstgesetzgebung in den Gewissensprozess integriert und entfaltet das Gewissen erst hier seine unerbittliche Macht, da der Akteur nicht ohne Selbstwiderspruch gegen das Gesetz verstoßen kann. Die normative Kraft dieses Gewissensurteils ergibt sich aus der als »moralisches Gefühl« ins empirische Bewusstsein gespiegelten »Achtung vor dem Gesetz«. Zudem beurteilt das Gewissen neben einzelnen Handlungen auch den »moralischen Charakter«, von Kant als »praktische konsequente Denkungsart nach unveränderlichen Maximen« apostrophiert. Das heißt: Auf einer höheren Stufe überwacht das Gewissen auch sowohl die Festigkeit der Maximen wie auch die Festigkeit des Willens zu ihrer Umsetzung in konkrete Handlungen.