Von dem Rechtszustande unter den Ureinwohnern Brasiliens
Carl Friedrich Philipp von Martius, Peter Trawny
Von 1817 bis 1820 bereist der aus Bayern stammende Botaniker Carl Friedrich Philipp von Martius im Auftrag des österreichischen Kaisers Franz I. Brasilien, die größte europäische Kolonie jener Zeit, um eine große Sammlung ethnologisch bedeutender Gegenstände nach München zu bringen. 1832 verfasst er den Band Von dem Rechtszustande unter den Ureinwohner Brasiliens, dem der heutige Leser entnehmen kann, in welche Welt die Forscher damals eindrangen, zugleich aber auch, welche Welt sie mitbrachten: das Wissenschaftsverständnis des frühen 19. Jahrhunderts vor Darwin, geprägt von den naturwissenschaftlichen Erkenntnissen Humboldts und der innovativen Systematik Linnés, der den Menschen als „Mensch im System der Natur“ und nicht mehr als Geschöpf Gottes auffasste. Diese neue Sicht kommt einem Quantensprung in der Wissenschaft vom Menschen gleich, und so lässt sich der Reisebericht des Schellingschülers Martius als eine Anthropologie avant la lettre lesen, die Claude Lévi-Strauss‘ berühmtem Buch „Traurige Tropen“ um gut hundert Jahre vorangeht.
From 1817 to 1820, on behalf of the Austrian Emperor Franz I, the Bavarian botanist Carl Friedrich Philipp von Martius traveled in Brazil, then the largest European colony, in order to bring a large collection of ethnologically important objects to Munich. In 1832, back in Europe, he wrote „Von dem Rechtszustande unter den Ureinwohner Brasiliens“ („On the state of law among the native peoples of Brazil“). The slender volume affords today’s readers with a look through the very eyes of the explorers at the world they were entering, but also at the world they were bringing with them: the early 19th centuries’s conception of science before Darwin, shaped by Humboldt’s scientific findings and the innovative systematics of Linné, who saw man as being a part of the system of nature and no longer as a creature of God. This new view is tantamount to a quantum leap in the science of man, and thus the travelogue of Schelling’s student Martius can be read as an anthropology avant la lettre, precedings Claude Lévi-Strauss’s famous book „Sad Tropics“ by a good hundred years.