Teilweise Musil

Teilweise Musil von Innerhofer,  Roland, Wolf,  Burkhardt
Zur Sprache kommt Architektur in Musils Ro­man auf mannigfache Weise: als weithin sicht­bare Bauform von Häusern oder ganzen ­Stadt­bezirken, als – einmal dekorative, einmal funktionale – Innenarchitektur von repräsenta­tiven oder auch intimen Räumen. Architektur ist im »Mann ohne Eigenschaften« nicht nur Motiv oder Thema, Schauplatz oder Hintergrund des erzählten Geschehens, sondern immer auch ein ›Dispositiv‹: eine determinierende Größe oder gar Möglichkeitsbedingung für die erzählte und erlebte Welt. Gefühle, Empfindungen und Stimmungen der einzelnen Figuren mani­festieren sich in den atmosphärischen Valeurs der privaten und öffentlichen Räume, die sie umgeben, in denen sie sich bewegen und ein­gerichtet haben. Entscheidungen treffen oder vermeiden die in Kakanien maßgeblichen Ak­teure an exponierten Schauplätzen der Politik oder auch in unzugänglichen Kanzleien; und zum systematischen Denken oder auch zum regelrechten Verrücktsein kommt man zuvorderst in institutionellen Räumen und zweck­dienlichen Bauensembles wie der Bibliothek und Psychiatrie. Diese Architektonik des Fühlens und Wahrnehmens, des Handelns und Denkens bestimmt nicht nur das Figurenarsenal, sondern auch die narrative Struktur des Romans. Dabei er­scheinen widersprüchliche Funktionen des Gebauten ineinander verflochten. Architektur bildet ein Modell für das historisch Vorgeprägte, das die privaten Lebensabläufe und öffentli­chen Dynamiken steuert und abweichende Wege ins Freie versperrt. Selbst Reformbemühungen oder gar Erlösungshoffnungen laufen Gefahr zu erstarren, wenn sie in Programmen niedergelegt werden und sich in architektonischen Konstruktionen materialisieren. Dem widersetzt sich Musils Schreibprozess, der ein Ende aller ›Gewohnheit‹, ja aller ›Be­haustheit‹ in Aussicht stellt – eine ›Architektur ohne Eigenschaften‹, die einer offenen utopischen Lebensform entspräche. Tritt Ulrich zu­letzt aus ›dem Haus‹ einer konventionalisierten Sprache heraus und in das Licht hinein, dann endet der Roman abseits aller architektonischen Dispositive – in einer Sphäre jenseits der Differenz von Innen und Außen, Eigenem und Offenem. Diesem Fluchtpunkt von Musils Schreiben will dieses Buch gerecht werden: durch essayistische Kapitelkommentare, die die Bauform des Ganzen aus der Anlage des Partiellen und des Details erschließen sollen.
Aktualisiert: 2023-03-30
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Teilweise Musil

Teilweise Musil von Plener,  Peter, Wolf,  Burkhardt
Musils ›Epochenroman‹ laboriert an einem doppelten Paradox: Woran er die alte Welt festmacht, ist die Unwahrscheinlichkeit ihres Bestehens – ihr ›unzureichender Grund‹. Und worin sich das Geschehen erfüllt, ist der Große Krieg – ein Ereignis, das sich mehr­fach und immer dringlicher ankündigt, als narrativer Fluchtpunkt aber außerhalb des zu Musils Lebzeiten gedruckten Romans verbleibt. Man könnte deshalb glauben, es sei eine ganz bestimmte Agenda, die dem grund- und end­losen Erzählverlauf Kontur und Richtung gibt: die des Militärs. Doch tatsächlich nicht zu überlesen ist die Rolle der k.u.k. Administration. Diese nämlich erst schafft aus einer Gemengelage an Personen, Interessen und bürokratischen Eigendynamiken heraus jenes Verwaltungskonstrukt »Kakanien«, das sie trotz aller Widerstände und Widersprüche am Leben erhält; und dieselbe Administration ist es, die mittels vielgestaltiger Organisations­einheiten, Netzwerke und zahlloser Kommunikationskanäle die alte Welt auf Linie [nämlich die zum Krieg] und damit zum Verschwinden bringt. In der Bürokratie entfaltet sich das Paradox des MoE. Davon zeugt bereits die Entstehungsgeschichte des Romans: Ab Ende 1918 sollte der ehemalige Soldat und Verwaltungsbedienstete Musil im nun ebenso ehemaligen Kriegsministerium dessen Schriftgut in die Erste Republik überführen helfen. »Ich löse auf«, beschrieb er seine Tätigkeit; aber gerade dieses Amt der Liquidierung setzte ihn dazu imstande, Kakanien in der Erzählung auferstehen und zugleich Kapitel für Kapitel zerfallen zu lassen. Denn die gesichteten Aktenbestände belegten präzise, was das Romangeschehen manchmal offenkundig, immer aber untergründig ausrichtet: die prägende Rolle der Bürokratie, den Eigensinn ihres Schrift- und Parteienverkehrs – und die aus ihrer Rationalität der Selbsterhaltung heraus entstehende Möglichkeit, der alten Welt und dem eigenen Fortbestand zuletzt den Grund zu entziehen. Wie aber wird im MoE gerade die Bürokratie zum [zuweilen geheimen] Zentrum eines Erzählens von Epochen­geltung? Die Verwaltung umkreist der Roman in seinen Kapiteln auf unterschiedlichste Art und Weise: es wird gezeigt, wie in Kakanien historisch ungleichzeitige Bürokratien aufeinander prallen, von der Kanzleikultur über den modernen Staatsapparat bis hin zur reform- und gewinnorientierten Geschäftsbürokratie; ein andermal geht es um die selbstreferentielle Rationalität und den eigentümlichen ›Geist‹ der Institution oder um den Habitus, das Amtsethos und die damit verknüpften privaten Leidenschaften ihrer Exponenten; und schließlich wird von Amts wegen ein Messianismus ausgemalt, der die fatalen Zeit­läufte im »Fortwursteln« zum Halten bringt oder die Möglichkeit einer anderen Geschichte zumindest in der Schrift bewahrt; aufgerufen werden wiederholt administrative Kultur- und Medientechniken, vom Verhandeln und Entscheiden bis zur Aktenführung und -versendung; und schließlich verraten etliche Kapitel, wie versiert Musil selbst mit bürokratischen Organisationsverfahren zu navigieren wusste, als er sein uferloses Textmaterial auf den Kanzleipapieren einer untergegangenen Welt zum Roman disponierte. Um die Komplexität des MoE partiell und exemplarisch einzufangen, folgt auch dieser zweite Band der Reihe Teilweise Musil dem Verfahren essayistischer Kapitelkommentare: das Textgeschehen im Kleinen rückt er in jenen weiten Horizont, den Kakaniens alte Welt umschreibt.
Aktualisiert: 2022-05-03
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Teilweise Musil

Teilweise Musil von Innerhofer,  Roland, Lickhardt,  Maren, Plener,  Peter, Wolf,  Burkhardt
Robert Musil hat einmal darum gebeten, seinen ›Epochenroman‹ »zweimal zu lesen, im Teil u. im Ganzen«. Mit gutem Grund, denn während er be­reits Jahrzehnte vor Erscheinen des ersten Bands im Jahr 1930 damit begonnen hatte, künftige Kapitel des Romans sprachlich und thematisch zu vervollkommnen, haben sich die Pläne zum »Mann ohne Eigenschaften« unter der Hand vervielfältigt und zu einer unlösbaren Aufgabe ausgeweitet. Fast könnte man sagen: Gerade vor der Perfektion seiner einzelnen Kapitel musste Musil kapitulieren. Und doch sind es, zumal in der Romanexposition »Eine Art Einleitung«, die einzelnen ›Teile‹, die einen Ausblick auf das un­er­reichbare ›Ganze‹ des Romanprojekts eröffnen. Eben diese 19 ersten Kapitel nehmen sich die Beiträge des Bandes vor: Sie lenken den Blick auf die Teile, das Partikulare und Singuläre, ohne es vorschnell unter ein Allgemeines zu subsumieren – aber auch, ohne damit das unmögliche Ganze aus dem Blick zu verlieren. Als Kommentare sind sie auf sachliche Genauigkeit verpflichtet, als Essays aber zu einer gewissen experimentellen Freiheit ermächtigt. Durch ihr Verfahren der ›teilweisen‹ Lektüre machen sie nicht nur die Eigentümlichkeiten jedes einzelnen Kapitels, sondern in ihrer Abfolge auch etliche Schwellen-, Transformations- und Verdichtungspunkte des »Mannes ohne Eigenschaften« sichtbar.
Aktualisiert: 2022-05-03
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meine wahrheit kennt deine wirklichkeit nicht

meine wahrheit kennt deine wirklichkeit nicht von Hacker,  Gerlinde, Reinagl,  Thomas
In "meine wahrheit kennt deine wirklichkeit nicht" entstehen zwischen Bildern und Text ein Dialog. Die Fotografie entnimmt der Umwelt Bilder, die ohne den Fotografen nicht sichtbar gemacht werden können. Bilder evozieren Wörter, Gedanken und Texte - daraus entstehen Schriftbilder, welche mehr als die Summe der Teile sind. Bestellungen an: no@hackerin.at
Aktualisiert: 2022-02-14
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Arbeit an der Differenz

Arbeit an der Differenz von Schütte,  Uwe
Die Studie unternimmt die erste umfassende Untersuchung der Prosa von Heiner Müller, die in einer Vielzahl von wechselnden Kontexten und Funktionen eine Brücke bildet zwischen den lyrischen und dramatischen Texten des Autors. Ihre besondere Form besteht dabei in der Verweigerung traditioneller Gattungsnormen aufgrund ihres offenen, prozessualen Charakters. Daher wird der wildwüchsige Bestand an Prosatexten in thematischen Werkgruppen kategorisiert, einer literaturhistorischen Ortsbestimmung unterzogen und systematisierend im Feld der ›Kurzen Formen‹ eingeordnet. Diese Präzisierung des Eigensinns Müller'scher Prosa unternimmt dabei nicht nur einen auch unpublizierte Nachlasstexte umfassenden Werkdurchgang, sondern leistet zudem einen wichtigen Beitrag zur Klärung des höchst komplexen Textbegriffes bei Müller.
Aktualisiert: 2019-01-08
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Luxus

Luxus von Zauner,  Hansjörg
„Er gehört zu den eigenwilligsten und konsequentesten Schriftstellern Österreichs“, meinte der ORF anlässlich der letzten Prosapublikation von Hansjörg Zauner. Mit seiner neuen Sammlung von Prosastücken wird dieses Urteil eindrucksvoll bestätigt. Für Hansjörg Zauner ist die Sprache ein Experimentalsystem, das der Erforschung und Beschreibung der eigenen Wahrnehmungen dient. Jenseits von Dogmen und festgefahrenen Lesegewohnheiten verfügt diese Prosa über eine sinnlich-synästhetische Qualität, die einhergeht mit präziser Beobachtungsgabe und vor allem viel Humor. Der Autor riskiert viel und seine Leser werden belohnt mit einer Literatur, die mit ihrem gänzlich eigenständigen Ton immer gut für Überraschungen ist.
Aktualisiert: 2020-02-10
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