Das vorliegende Buch ist Ergebnis eines 18-monatigen Forschungsprozesses in der Region Holzminden.
Unser Ziel war es, die Fachkräftebedarfe und dafür notwendigen Bildungsprozesse heraus zu arbeiten und zwar aus Sicht der Fachkräfte bzw. potentiellen Fachkräfte und der UnternehmerInnen. Dabei nahmen geschlechtsspezifische Analysen einen breiten Raum ein, weil die Ausgangslagen vermuten ließen, dass geschlechtsspezifische Segregationen sowohl die einzelnen beruflichen Biografien von Frauen, als auch die Entwicklung der Region behindern.
Dafür wurden verschiedene Methoden genutzt: explorative ExpertInneninterviews mit
Drehpunktpersonen in Zivilgesellschaft und Wirtschaft ebenso wie zwei große Online-
Unternehmens- und Bevölkerungsbefragungen.
Parallel haben wir drei Tagungen in der Region veranstaltet: Als Start-up thematisierten
wir Arbeitszeiten aus Gender-Gesichtspunkten, in der Mitte des Projekts haben wir insbesondere Frauen eingeladen, sich zum Thema "Was gewinne ich, wenn ich arbeiten gehe?" auseinander zu setzen. Dabei war die Soziologie der Arbeit ebenso Thema wie das neue Unterhaltsrecht. In Workshops zu beruflicher Neuorientierung und Qualifizierung im mittleren Lebensalter, Existenzgründung, beruflicher Orientierung für Migrantinnen und Arbeitszeitmodellen sowie Verhandlungstechniken bei Einstellungsgesprächen konnten konkrete berufliche Perspektiven entwickelt und Tipps mitgenommen werden. Im Rahmen der Abschlussveranstaltung haben wir die Forschungsergebnisse zu den Themen Berufswahl, Weiterbildung, regionale Identität sowie Potenziale und Arbeitskräftebedarfe mit ExpertInnen aus Wirtschaft, Bildung, Verwaltung, Politik und Zivilgesellschaft diskutiert.
Mit diesem Buch bilden wir also einen Forschungsprozess ab, den wir als HAWK gemeinsam mit der Kreisvolkshochschule und flankierend mit dem Gleichstellungsbüro des Landkreises Holzminden gemeinsam mit vielen anderen AkteurInnen gegangen sind. An dieser Stelle ein ganz herzliches Dankeschön an all diejenigen, die diese Forschung so aktiv mit gestaltet haben! Die ReferentInnen in unseren Workshops, die VertreterInnen der Wirtschaft und ihrer Kammern, an diejenigen, die unsere Fragebögen beantwortet haben. Ihre Ideen, Kommentare, Inputs und Aktionen machen sehr deutlich, dass diese Region viele Potenziale hat, weil sie „MacherInnen“ hat!
Ergebnis dieser Studie ist, dass wir uns für die Region wünschen würden, dass sie partizipativ vier Cluster diskutiert und strategische Entwicklungsentscheidungen trifft: Investitionen dafür, dass junge Menschen bleiben, Investitionen in bessere Vereinbarkeit von Familie und Beruf, Stärkung strategischer Wirtschaftsförderung und Arbeit an einem positiven regionalen Selbstbild.
Setzen wir die Brille der Analyse regionaler Strukturen nach Geschlecht auf, so stellen wir fest: Wenn wir die Bedürfnisse beider Geschlechter in strategische Planungsprozesse differenziert einbeziehen, bekommt die Region neue Entwicklungspotenziale! Aus sozialpolitischer Sicht ist die berufliche Qualifikation und Integration beider Geschlechter (unabhängig voneinander) eine notwendige Voraussetzung der Existenzsicherung und Armutsprävention. Dieses Ziel erreicht ist nur, wenn die Bildungsvoraussetzungen dafür in der Region gegeben sind. Erst auf Basis dieser beider Faktoren kann Wirtschaft sich entwickeln und innovativ wirken. In einer modernen Gesellschaft ist aber nie eine Dimension ausreichend für differenzierte Problemlösung, das wird an diesem Punkt und viel mehr vorliegenden Bericht deutlich.
Zwei Botschaften liegen uns zentral am Herzen, daher möchten wir sie an dieser Stelle
aus der differenzierten Betrachtung herauslösen und Ihnen mit auf den Weg geben:
Familien brauchen die Chance auf zwei voneinander unabhängige Einkommen, um ihre
Leben flexibel und gewinnbringend gestalten und Armutssituationen vermeiden zu können.
D.h., dass Männer wie Frauen unabhängig voneinander wirtschaftliche Existenzen
aufbauen müssen, um im System der sozialen Sicherung verankert zu sein. Die Ehe, insbesondere wenn sie scheitert, sichert wirtschaftlich und sozial nicht adäquat ab und eine existenzsichernde Rente erhalten nur die Personen, die entsprechend eingezahlt haben.
Langfristige Zukunftsplanung und soziale Absicherung von Frau wie Mann sollte also
zentrales Kriterium für Entscheidungen zur Arbeitsteilung in Familien sein. Wer in Holzminden lebt und dort gerne lebt (das tun unserer Befragten), gibt als Grund
gute soziale Beziehungen und Wohnqualitäten an. Bei aller peripheren Lagen und wirtschaftlicher Probleme sollte dies nicht aus den Augen verloren werden. Sprechen Sie darüber, warum Sie gerne in der Region leben und was Sie stolz auf diese Region macht: Dies ist eine anregendere Basis für Innovationen und neue Impulse und schafft Zukunft. Junge Menschen müssen innerlich wie äußerlich mobil sein und ihre Lebensplanung selbst in die Hand nehmen. Aber die Zukunft der Region hängt auch davon ab, ob man diesen jungen Menschen sagt: „Ich finde, du bringst tolle Kompetenzen mit. Wenn du bleiben möchtest, schauen wir gemeinsam, was geht und initiieren etwas! Ich würde mich freuen!“ oder ob die Botschaft ist „Wenn du Karriere machen möchtest, gehst du besser woanders hin“.
In diesem Buch müssen wir mit unseren Analysen auch den Finger in die Wunde legen:
das ist unsere Aufgabe als Forschende. Ziel es ist dabei aber, herauszufinden, wo ein
Schlüssel für positive Veränderungen zu finden ist und Kritik als Ausgangslage für eine
positive Wendung zu verstehen.
Die Kurzfassung: Die Region braucht Investitionen in Bildung mit weniger geschlechtsspezifischer Segregation und mehr Breite in Ausbildungs- und Studienmöglichkeiten, neue Kulturen der partnerschaftlichen Arbeitsteilung, mehr Zusammenarbeit in der Wirtschaft in neuen Formen, Förderung von Existenzgründungen und an Wirtschaftsbedürfnisse angepasste vernetzte Maßnahmen der Vereinbarkeit von Familie und Beruf. In allen Handlungsfeldern ist eine an den lokalen Gegebenheiten anknüpfende Weiterentwicklung zentral, die insgesamt ein positives Selbstbild und darauf aufbauend ein positives lokales/regionales Image befördern kann.
In diesem Sinne: Wir arbeiten gerne weiter mit und für die Region. Zuletzt ein ganz herzliches Dankeschön an die N-Bank die mit ihrem FIFA-Förderschwerpunkt, die dieses Projekt mit ESF- und Landsmitteln ermöglicht haben, an Sigrun Brünig vom Gleichstellungsbüro und Angela Schürzeberg von der Wirtschaftsförderung des Landkreises Holzminden, an Frau Ohm für die Verwaltung und die wissenschaftlichen Mitarbeiterinnen des Projektes, Dr. Anke Kaschlik, Swantje Penke und Antje Geißler.