Der Aphorismus in Europa
Entwicklungen, Zusammenhänge, Themen
Zygmunt Januszewski, Andreas Nossmann, Friedemann Spicker, Angelika Spicker-Wendt, Jürgen Wilbert
ZUR KONZEPTION
Es gibt international ausgerichtete Aphorismus-Anthologien (und wir
haben sie natürlich ausgewertet), aber in seiner Ausrichtung auf
Europa ist der Band ohne Vorbild. Die Sprachenvielfalt war das erste
Problem, dem wir uns dabei zu stellen hatten. Der Turm zu Babel
sollte himmelhoch werden, ein Symbol des menschlichen Hochmuts,
er wird aber nicht vollendet, denn Gott, so heißt es im Alten
Testament, verwirrt die Sprache seiner Erbauer und vertreibt sie über
die ganze Erde. Europa mag für den Optimisten mehr und mehr mit
einer Stimme sprechen, aber gleichwohl immer noch in vielen
Sprachen. Wenn wir hier also die aphoristischen Stimmen Europas zu
Gehör bringen, dann müssen wir uns darüber klar sein, dass das in
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einer doppelten perspektivischen Verzerrung geschieht. Wir tun es
nämlich – das ist nicht zu verkennen – vom Standpunkt der deutschen
Sprache aus. Und von hier aus können wir nur das zur Kenntnis
nehmen, was ins Deutsche übersetzt ist. Zu dieser nationalsprachlichen
Einschränkung kommt – auf den ersten Blick sichtbar – eine
chronologische Verzerrung hinzu: Die Daten werden zur Gegenwart
hin immer dichter, der Blick für das Wesentliche im Sinne der
europäischen Idee diffuser.
So mag der Band als ein erster Versuch gelten, die Europa-Idee auch
einmal in der kleinen literarischen Gattung, die wir lieber als die kurze
bezeichnen, abzubilden. Große Fragen wie die nach einer europäischen
Identität bleiben in unserem „kleinen“ Rahmen aber tunlichst
außen vor.