Die Zarathustralegende in der zoroastrischen Tradition von Brünner,  Elisabeth

Die Zarathustralegende in der zoroastrischen Tradition

Lebenszeit und Wirkungsbereich des iranischen Propheten Zarathustra sind umstritten und somit im Sinne einer modernen Geschichtsschreibung nicht fassbar. Es handelt sich um eine legendäre Persönlichkeit, die gemäß der Quellenaussage als der erste Gesetzgeber der Menschheit ausgewiesen ist, der das in der Begegnung mit Ahura Mazdah erfahrene Gotteswort den Menschen mitteilen und durch die prophetische Handlung offenbar machen will. Dieser Gott kann jedoch nur im Geist oder in der Vision begriffen werden. Es handelt sich hierbei um eine Erlebnisfähigkeit, die das Schauen einer unsichtbaren Welt beinhaltet. Zarathustra besaß diese Fähigkeit und aufgrund der damit verbundenen Vorrangstellung war er imstande, allen gegenwärtigen, vergangenen und zukünftigen Lebewesen zu verkünden, dass er als Apostel seines Gottes in diese Welt kam, um die vom Einfall der bösen Mächte noch nicht befleckten Geschöpfe zu retten. Das Böse und sein Pendant das Gute werden in der Fachsprache als „mainyu“ bezeichnet. Es handelt sich hierbei um die beiden als schlafende Zwillinge gedachten, sich ewig bekämpfenden Götter, die das Gute und das Böse in den Gedanken, den Worten und den Taten zum Ausdruck bringen. Die beiden genannten Phänomene, die dem Gegensatzpaar Licht und Finsternis entsprechen, lassen die Grundzüge des Dualismus erkennen, der in seiner Doppelfunktion des Anziehens und Abstoßens die Stabilität der Welt sichert. Diese beiden uranfänglichen Gegensätze stellen sich als eine Notwendigkeit für die Entstehung jeglichen Lebens dar, das an beiden Prinzipien Anteil hat und nur durch den Tod begrenzt wird. Tod und Leben bedingen einander. Das Ende knüpft an den Anfang an. Dies bedeutet, dass der Durchgang durch das Reich des Todes notwendig zur Entstehung neuen Lebens ist. Dieser Zyklus von Sterben und Auferstehen betrifft nicht nur den einzelnen Menschen, sondern gleichermaßen den gesamten Kosmos, der dem gleichen Gesetz der rhythmischen Abfolge von Tod und Wiedergeburt unterliegt. Dieser Rhythmus wird bestimmt durch eine streng fixierte Abfolge von Geschehnissen, die gemäß der Quellenaussage bei Zarathustra in Gestalt von verschiedenen Prüfungen erkennbar werden. Hierbei handelt es sich um eine Initiation, bei der die Kindheit sterben muss, um in eine neue Daseinsform einzutreten. Im kosmischen Bereich wird dieses Geschehen im Weltuntergang und in einer neuen Weltenstehung erkennbar. Im Falle Zarathustras bedeutet der gleiche Vorgang die Wiederkehr des goldenen Zeitalters der Urkönige.

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