Kandinsky: Über das Geistige in der Kunst. Eine rhetorische Analyse
Jürgen Volk
Die Kunsttheorien des 20. Jahrhunderts wurden „gewiß ohne Kenntnis der rhetorischen Tradition geschrieben, mit der sie jedoch auf ausgeprägte Weise zusammenhängen. Ihre Rekonstruktion ist bis heute ein Desiderat der Kunstgeschichte geblieben.“ (Historisches Wörterbuch der Rhetorik) Diese Arbeit macht es sich zur Aufgabe durch eine rhetorische Interpretation des Textes Über das Geistige in der Kunst einen Beitrag zu dieser Rekonstruktion zu leisten. Die Perspektive rhetorischer Forschung birgt hierbei auf mehrfache Weise einen Vorteil in sich, wobei erstmals gezeigt werden kann, dass Kandinsky die kunsttheoretischen Forderungen seiner Lehre der Affekte und Figuren für die Malerei auch in der Argumentation des Textes umsetzt. Diese analoge Beschreibung von sprachlichen und malerischen Mitteln anhand rhetoriktheoretischer Begrifflichkeiten macht einen Kategorientransfer möglich, der den Weg zu einer Interpretation der Kunsttheorie Kandinskys ebnet und gleichzeitig belegt, dass Kandinsky die Mittel, die er für die Malerei fordert, auch einsetzt, um seine Argumentation in Über das Geistige in der Kunst zu stützen. Damit bestätigt die Analyse, was vorab in einem historischen Kontext erarbeitet wurde: Über das Geistige in der Kunst muss als „Deklaration mit Manifestcharakter“ oder „heimliches Manifest“ gelesen werden.