Lisa Zirner
Philosophie im Boudoir
Hans-Jürgen Döpp, Lisa Zirner
Marquis de Sade, DIE PHILOSOPHIE IM BOUDOIR –
Am Ende des Jahrhunderts der Aufklärung, 1795, während der Zeit des Direktoriums, erschienen in Paris zwei kleine Bände unter dem Titel „LA PHILOSOPHIE DANS LE BOUDOIR“. Der Autor verbirgt sich: „Posthumes Werk des Autors der Justine. London“. Der Berüchtigte Marquis de Sade hat sich zu keinem der Werke bekannt, die ihn zum glühenden Vorkämpfer der Freiheit und Verfechter der totalen Revolte machten. Weder die „Neue Justine“ noch „Juliette oder die „Philosophie im Boudoir“ sind mit seinem Namen gekennzeichnet.
Das Zeitalter der Vernunft ist ein Zeitalter der Erziehungsliteratur. Auch die erotische Literatur bereicherte diesen pädagogischen Diskurs: Mirabeaus „Education de Laure“ schildert in philosophischer Verpackung die sexuelle Verführung einer jungen Frau. Mit seiner „Philosophie“ pervertiert Sade aber dieses Genre ins Abgründige: er proklamiert eine Erziehung zur Ausschweifung, mithin eine Anti-Erziehung! Der Untertitel verweist auf ein subversives Programm: „Die lasterhaften Lehrmeister“. Als Motto stellt er seinem Werk den Satz voran: „Möge jede Mutter ihrer Tochter die Lektüre dieses Buches gebieten“. Damit parodiert er die Forderung eines revolutionären Pamphletes: „proscrire“ = „die Lektüre verbieten“ verwandelt er in „préscrire“ = „die Lektüre verschreiben“.
Sade proklamiert mit dieser Schrift die Autonomie der Sexualität, die er aus den Banden familiärer Moral und religiöser Schuldgefühle befreit sehen will. Insofern ist er ein früher Befreier der Sexualität.