Marginalisierung und Emanzipation. Jüdische Alltagskultur im Herzogtum Berg 1779–1847
Bergische Forschungen XXX
Bastian Fleermann
Regionalstudien zur deutsch-jüdischen Alltagsgeschichte und zum Wandel religiöser Traditionen stellen immer noch in weiten Teilen ein Forschungs-Desiderat dar. Wie jüngere Studien aufgezeigt haben, erweist sich die Analyse jüdischer Alltagskultur, auch begriffen als Untersuchung materieller Sachkultur, in Mitteleuropa als lückenhaft, wenngleich es hierzu erste überregionale Ansätze gibt. Das Judentum im Rheinland nimmt hierbei gerade im Zeitraum um 1800 aufgrund rechtlicher, sozialer u nd kultureller Besonderheiten eine exponierte Stellung ein. Die Juden des mittelgroßen rechtsrheinischen Territoriums des Herzogtums Berg waren von den napoleonischen Gesetzgebungen und der Politik der ab 1815 einsetzenden preußischen Regierung im besonderen Maße betroffen, da sich ihr Alltag – vergleichbar zu den Juden in Westfalen oder den linksrheinischen, ab 1801 französischen Territorien – innerhalb dieser massiven Umbruchphase rasch anzupassen und damit immer wieder neuartig zu konstituieren hatte. Es bleibt zu diskutieren, ob nach dem Eintritt in die bürgerliche Gesellschaft der „Heimat“-Begriff neue innerjüdische Definitionsansätze im Bergischen Land erfuhr. Im vormodernen, korporativ bestimmten Gesellschaftsmodell konstruierten die Juden das, was man „Heimat“ nennt, ausschließlich innerhalb ihrer religiösen Gemeinschaft. Hier ist zu prüfen, ob sich ein Heimatgefühl nun an der Region und ihrem gesamtkulturellen Kontext festmacht. Es entstand zunächst keine deutsch-jüdische Symbiose, aber vielleicht doch eine regional-jüdische Identität. Heinrich Heine, der wohl prominenteste Vertreter der bergischen Juden, schrieb: „Die Stadt Düsseldorf ist sehr schön, und wenn man in der Ferne an sie denkt, und zufällig dort geboren ist, dann wird einem ganz wunderlich zu Muthe. Ich bin dort geboren, und es ist mir als müßte ich gleich nach Hause gehn.“