Mykenische Opfergaben nach Aussage der Linear B-Texte
Sigrid Deger-Jalkotzy, Jörg Weilhartner
Zum Opfer in der griechischen Bronzezeit: Das Darbringen von Opfergaben war im antiken Griechenland ein derart selbstverständlicher, alltäglicher und allgegenwärtiger Vorgang, dass er zum Inbegriff der heiligen Handlung geworden und schlicht als „(Heiliges) tun“ bezeichnet worden ist. Während die Griechen entsprechend ihrer Überlieferung der Ansicht waren, dass ursprünglich keine Tiere geopfert, sondern ausschließlich unblutige Gaben dargebracht wurden, scheint sich das ritualisierte Schlachten von Tieren mit nachfolgender Fleischmahlzeit historisch bis auf die Situation des Menschen vor Erfindung des Ackerbaues zurückführen zu lassen. Wie paläolithische Funde von an geheiligten Orten deponierten Knochen und Schädeln nahe legen, liegt dieser Praxis ein bereits vom altsteinzeitlichen Jäger empfundenes Schuldgefühl dem getöteten Tier gegenüber zugrunde. Um die Verletzung der naturgegebenen Ordnung infolge des Tabubruchs der Tiertötung zu vermeiden, wird die Schlachtung rituell, d.h. als Opfer, vollzogen und das Sammeln von Knochen nach der Mahlzeit als Versuch einer Restitution durchgeführt. Somit ist „das Opfer als Todesbegegnung, als Tötungshandlung, die doch den Fortbestand des Lebens verbürgt, aus der Existenzform des paläolithischen Jägers herausgewachsen“. Mit der Integration des Tieropfers in die Kultur der neolithischen Ackerbauern, wobei die neu erschlossenen Nahrungsquellen des Bodenanbaus in das Tieropferritual aufgenommen wurden, ist eine sehr stabile sozial-religiöse Struktur von Jahrtausende dauernder Kontinuität entstanden, die erst mit dem aufkeimenden Christentum ihre Existenzberechtigung verloren hat.