Rechte von Ungeborenen auf Leben und Integrität. Die Verfassung zwischen Ethik und Rechtspraxis
Bernhard Rütsche
Die Frage, ob Ungeborene eigene Rechte auf Leben und Integrität haben, ist verfassungsrechtlicher Natur. Auf dem Prüfstand steht der Beginn der Menschen- und Grundrechte und letztlich die Frage, weshalb der Mensch überhaupt Träger von Rechten ist. Ein stringentes Konzept der Rechtsträgerschaft bietet die Chance, Gesetzgebung und Rechtsprechung zum Anfang des menschlichen Lebens auf einheitliche und widerspruchsfreie Wertgrundlagen zu stellen. Betroffen sind, neben dem klassischen Thema des Schwangerschaftsabbruchs, namentlich die moderne Fortpflanzungsmedizin und Pränataldiagnostik, die Forschung an Embryonen sowie die Verwendung von embryonalem Gewebe zu therapeutischen Zwecken. Bevor die vorliegende Habilitationsschrift nach inhaltlichen Antworten sucht, setzt sie sich in einem ersten Teil mit methodischen Problemen auseinander. Im Zentrum steht die Frage, wie das Verfassungsrecht mit dem ethischen Diskurs zum pränatalen Lebensschutz umgehen soll. In ihrem zweiten Teil untersucht die Arbeit, inwieweit das geltende Recht Aufschluss über die Rechtsträgerschaft von Ungeborenen gibt. Als Rechtsquellen dienen dabei die massgebenden internationalen Menschenrechtskonventionen sowie die schweizerische Bundesverfassung. Der dritte Teil steht im Zeichen der Rechtsfortbildung und setzt sich zum Ziel, ein Konzept der Rechtsträgerschaft zu entwickeln, das rechtstheoretisch und ethisch gut begründet ist sowie Aussicht auf langfristige Anerkennung hat. Wegleitend ist ein rekonstruktiver Ansatz, der danach fragt, welche Überzeugungen zur Schutzwürdigkeit von Ungeborenen der vorgefundenen Moral- und Rechtspraxis bereits zugrunde liegen.