Städte, Episoden
Fotografien
Rainer Iglar, Paul Albert Leitner, Michael Mauracher
Aus seinem ungeheuren Archiv hat Leitner 455 Bilder ausgewählt, die in Städten und Dörfern rund um den Globus entstanden sind. Das Buch ist als Künstlerbuch angelegt – siehe auch Leitners Statement im Anhang – und steht in der Tradition der radikalen Fotobücher des 20. Jahrhunderts, die das Medium Fotobuch jeweils neu denken und weiterentwickeln. Die weit verbreitete Betrachtungsweise für Fotobücher – nämlich als Daumenkino von hinten nach vorn – empfiehlt sich für „Städte, Episoden“ nicht: Zu unterschiedlich ist die Seitengestaltung, zu zahlreich die Bilder, und dazu 455 Bildunterschriften.
Leitners neues Buch kann wie „Kunst und Leben“ als Roman, oder aber auch als konkreter Gedichtband mit fotografischen Mitteln gelesen werden.
Wie in einem naturwissenschaftlichen Werk, in dem jeder Gegenstand exakt beschrieben wird, ist auch in „Städte, Episoden“ jedes Bild mit einer präzisen Bildlegende verknüpft.
Leitner bevorzugt statt „Bildtitel“ den Begriff „Legende“: Seine Fotografien erzählen Geschichten, persönliche autobiographische oder ganze Weltgeschichten. Die Titel sind im neuen Buch nun erstmals unmittelbar bei den Bildern, manchmal sogar in die Ränder der Bilder integriert. Meist handelt es sich um genaue Orts- und Zeitangaben, die die oft wie entrückt in gleißendem Licht erstrahlenden Gegenstände auf den Fotografien mit konkreten Punkten in der Geographie und in der Chronologie verbinden.
Roland Barthes hat in seiner Analyse die Fotografie als verstörend realitätsmächtiges Medium bezeichnet – jedes fotografische Bild ist ja gleichsam durch ein silbernes Band, wie es Susan Sontag formuliert hat, tatsächlich mit seinem abgebildeten Gegenstand verbunden. Barthes spricht vom „So ist es gewesen“, um darauf hinzuweisen, dass sich in jeder Fotografie eine Spur des Realen befindet – fixiert im Foto zu einem bestimmten vielleicht weit zurückliegenden Zeitpunkt. Dieses Verstreichen der Zeit, das jede Fotografie als Quintessenz zum Thema hat – und dessen ist sich Leitner ganz unsentimental bewusst – endet nach Barthes in der absoluten Finalität, im Tod.
Leitner, der Fotograf als Existenzphilosoph, nimmt nun aber die Metapher von der Existenz als Reise, als ununterbrochenes Unterwegs-Sein zu fremden Ufern ganz ernst und heiter gleichermaßen. Neugierig, mit großen offenen Augen für die Welt drinnen und draußen vollbringt er mit selbstbewusstem Sentiment und umfassenden Kenntnissen aller Details seit fünfundzwanzig Jahren strahlende Fotografien von Orten und Situationen auf der ganzen Welt. Mit Ironie und Witz taucht er selbst gelegentlich in seinen Bildern auf („Me, myself in a hotel“) als Kunstfigur in diesen wechselnden Episoden des Lebens. Paul Albert Leitners Fotografien sind durch eine hellwache Sensibilität für die Poesie des Alltäglichen ausgezeichnet, sie sind im Bartheschen Sinn magisch wie eben nur Fotografien in den geglücktesten Momenten magisch sein können – als berührende Zeugnisse für die Kostbarkeit des flüchtigen Augenblicks und die Einzigartigkeit von Konstellationen.