Vade-mecum
Gedichte. zweisprachig. Aus dem Polnischen von Peter Gehrisch
Peter Gehrisch, Cyprian Kamil Norwid
„Vade-mecum“ ist das Hauptwerk des polnischen Dichters Cyprian Kamil Norwid (1821-1883). Es steht im Rezeptionszusammenhang mit Charles Baudelaires „Les Fleurs du Mal“ (Die Blumen des Bösen) und gilt wie dieses als eines der wichtigsten Zeugnisse am Beginn der europäischen Moderne.
Wie bei Baudelaire umfasst das polnische Pendant neben einer Vorrede, „An den Leser“, und einem „Epilog“ 100 Gedichte. Zum Zweck einer vertiefenden und innovativen Seins-Betrachtung stehen sie im Kontext zur Kultur- und Weltgeschichte, dem Alten und Neuen Testament, dem Wirken der Griechen, Römer, Inder, Chinesen etc. und in Korrespondenz mit konkreten Fragen des 19. Jahrhunderts, der zaristischen Besatzung Polens, dem daraus resultierenden Exil für die polnische Intelligenz, Belangen der Ethik, des Geistes und des künstlerischen Schaffens.
Norwids Wort ist – anders als bei seinen berühmten Zeitgenossen, Mickiewicz, Słowacki und Krasiński – noch heute so zündend wie zum Zeitpunkt seines Entstehens. Sein Dichten vermittelt hermetische, das ganze Denken erfordernde Bildkonstruktionen wie die von der „Fledermaus-der-Geschichte“, die „mit ihrem Kopf / […] noch immer [atmet], / während ihr Rumpf in jedem Jahrhundert ausgestopft wird“ als Demonstration für das Erfassen von Seinsvollzug, Rezeption, Reaktion.
Post mortem ist die Aufmerksamkeit für den genialen Polen in seiner Heimat und anderen slawischen Ländern ständig gestiegen. Josef Brodsky beispielsweise findet zu einem exorbitanten Urteil: „I consider Norwid as the best poet of the 19th century – of all I know, in any language. Better than Baudelaire, better than Wordsworth, better than Goethe.” („Ich halte Norwid für den besten Dichter des 19. Jahrhunderts – von allen, welche ich kenne, in jeder Sprache. Besser als Baudelaire, besser als Wordsworth, besser als Goethe.“)
Neben der Adäquatheit der hier nachdichteten Texte liegt ein besonderer Schwerpunkt in der poetisch-metrischen Lesbarkeit der Gedichte. Den Zugang zu den oft bizarr erscheinenden Denk-Strukturen erleichtert ein ausgiebiger Anmerkungsteil.
Cyprian Norwid (1821-1883): geb. in Laskowo-Gluchy, Lyzeum in Warschau, 1840 Lyrikdebüt in der Zeitschrift Pismiennictwo Krajowe, Reisen nach Dresden, Venedig, Florenz, Rom und Berlin, Festnahme durch die preußische Polizei, Ausweisung, 1849-1852 Aufenthalt in Paris, Bekanntschaft mit Chopin, Auswanderung nach Amerika, 1854 Rückkehr nach Paris, Armut, Tuberkulose.