Wagfalls Erbe
Bettina Wohlfarth
Viktor Wagfall weiß, dass er nicht mehr lange leben wird. Mit einer Mischung aus Sentimentalität und spleeniger Selbstvergewisserung, die das Altwerden mit sich bringen kann, setzt er sich Mitte der neunziger Jahre jeden Tag an den Schreibtisch, um ein nie erzähltes Geheimnis vor dem endgültigen Vergessen zu bewahren. Wer war Isidor Schweig? Vor und während des Zweiten Weltkriegs lebte Wagfall unter eben diesem Namen als Gemäldefälscher in Paris und fertigte virtuose Kopien von Malern wie Courbet, Renoir, Bonnard oder Matisse an. Nach der Kapitulation Frankreichs im Juni 1940 arbeitet Viktor Wagfall zwar offiziell bei der Reichsbahn in Paris, richtet sich aber, um weiterhin malen zu können, ein geheimes Doppelleben ein. In seiner Freizeit verschwindet er als Maler Isidor Schweig in einem Atelier am Montmartre. Viktor Wagfall schildert in seinen allzu späten „Confessions“, die er Aufzeichnungen eines melancholischen Kunstfälschers nennt, was in jener Zeit auf dem Pariser Kunstmarkt passiert, von der Zusammenarbeit mit korrupten Nazi-Kunsthändlern und vom „Einsatzstab Reichsleiter Rosenberg“, der im Jeu de Paume die geraubte Kunstbeute der jüdischen Sammlungen zusammentreibt. Mit Erinnerung umzugehen ist ein gefährliches und zugleich lustvoll melancholisches Unterfangen für den alten Wagfall. Er erzählt von seiner Leidenschaft für die Malerei und vom Handwerk des Fälschers. Vor allem möchte er die Geschichte einer besonderen Liebe, die sich in zwei von ihm kopierte Gemälde eingeschrieben hat, noch einmal vor sich entstehen lassen und weitergeben. Im Heute: Wagfalls Hinterlassenschaft einer lange verschwiegenen Vergangenheit wird zu einer Herausforderung für seine Kinder. Viele Jahre nach seinem Tod stößt seine Tochter Karolin, die sich als Fotografin ausgerechnet Paris als Wohnort ausgesucht hat, nicht nur auf das Manuskript, sondern auch auf ein bedeutendes Gemälde.