Das Haus im Buch
Konzeption, Publikationsgeschichte und Leserschaft der »Oeconomia« Johan Colers
Philip Hahn
In der Buch- und Lesergeschichte der letzten Jahrzehnte wurden die verschiedenen Aspekte des Mediums »Buch« (Inhalt, Format und Aufmachung, Vermarktung, literarische Rezeption und Leserpublikum) meist getrennt voneinander betrachtet. Doch sind es gerade die Zusammenhänge zwischen diesen Aspekten, die zentral für das Verständnis der historischen Bedeutung des Mediums sind.
Die vorliegende Studie rekonstruiert daher die Geschichte eines Buches von der Konzeption durch den Autor bis zur Nutzung durch die Leser.
Der hier gewählte Untersuchungsgegenstand, die Oeconomia Johann Colers, war eines der erfolgreichsten Druckwerke in deutscher Sprache im 17. Jahrhundert und gilt als erstes Werk der »Hausväterliteratur«. In seiner inhaltlichen Bandbreite von der Forschung bislang nur ansatzweise gewürdigt, erlebte Colers Buch im Lauf seiner einhundertjährigen Publikationsgeschichte zahlreiche Veränderungen durch den Verfasser, die Verleger und spätere Bearbeiter: Aus einem schmalen Kalenderdruck mit Fortsetzungsbändchen entstand ein Foliant, der später durch einen Jesuiten von lutherischer Konfessionspolemik und auch manchen anstößigen Passagen befreit wurde und der schließlich in zwei Übersetzungen – ins Niederländische und Schwedische – auch über die Grenzen des deutschsprachigen Raums hinaus wirkte. In erster Linie aber zeichnete sich Colers Buch von der ersten Auflage an durch eine für unterschiedliche Leserkreise und Benutzungsweisen offene Konzeption aus.
Während bisherige Arbeiten zu »Hausväterliteratur« sich vor allem auf ihren in religiöser und moralischer Hinsicht normativen Charakter konzentriert haben, lenkt Hahns Untersuchung den Blick auf die unterschiedlichen Instanzen, die am Prozess der Entstehung, Verbreitung und Rezeption der Oeconomia beteiligt waren, und fragt gezielt nach deren spezifischen Motiven und Strategien. Zur Auswertung herangezogen werden dafür unter anderem – neben sämtlichen Ausgaben der Oeconomia – auch die Akten eines langjährigen Prozesses vor dem Reichshofrat um das kaiserliche Druckprivileg sowie die mit großer Akribie betriebene Dokumentation und Interpretation der vielseitigen handschriftlichen Marginalien zeitgenössischer Leser, die in den in europäischen Bibliotheken aufbewahrten Exemplaren erhalten geblieben sind.
Die aufmerksame Lektüre dieses Hausbuch-Klassikers macht deutlich, dass Coler sein Buch nicht nur mit frommen und moralisierenden Betrachtungen durchsetzte, sondern es auch bewusst als Plattform für Stellungnahmen zu Fragen der Empirie, der Magie oder auch der paracelsischen Medizin nutzte. Von wie zentraler Bedeutung die äußere Gestalt eines Buches für seine Wirkung ist, wird am Entstehungsprozess und der Rezeption der verschiedenen Ausgaben der Oeconomia deutlich. Die breite soziale Streuung der nachweisbaren Besitzer und der in den handschriftlichen Einträgen erkennbare überwiegend pragmatische Zugriff der Leser deuten darauf hin, dass Colers Buch weniger als ein umfassendes barockes Kompendium, sondern vielmehr als ein flexibles Medium in der Hand seiner Bearbeiter und Leser zu interpretieren ist.